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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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reisen. Das hatte sie schon als kleines Kind gelernt. Ich habe es mir mit sieben Jahren beigebracht. Wenn wir, die wir von einem Blut sind, auf diese Weise reisen können, sollte dir das auch möglich sein.«
    Â»Ich werde es versuchen.« Einmal hatte ich es schon fast geschafft. In der Nacht, in der ich bei Helen geschlafen und meine Gedanken auf Cliff House konzentriert hatte. Aber war das Astralreisen gewesen oder nur eine Art zu träumen?
    Â»Bevor du anfängst«, sagte Lia, »musst du dich auf dein Ziel konzentrieren.«
    Das hatte ich sofort vor Augen. Ich würde zu Helen gehen.
    Â»Wirf deine Seele in den Raum hinaus«, wies Lia mich an. »Löse dich von deinem Körper. Das geht ganz plötzlich. Wie ein Sprung. Du musst dich von der physischen Ebene lösen und auf die Astralebene hinüberwechseln.«
    Bei ihr klang das so leicht! Meine geistigen Muskeln spannten sich bis zum Äußersten – und mit all meiner geistigen Kraft schwang ich mich nach oben.
    Ich will – zu – Helen !
    Einen Moment lang dachte ich, ich hätte es geschafft. Dann packte mich die Enttäuschung, denn ich spürte das Gewicht der Decken auf meinem Körper und musste feststellen, dass ich noch in genau derselben Stellung im Bett lag wie zuvor.
    Â»Hat nicht geklappt«, sagte ich.
    Â»Hast du in Worten gedacht?«
    Â»Na ja. Ich glaube schon. Wie denkt man denn sonst?«
    Â»Lösche sie aus«, befahl Lia. »Worte nageln dich auf der Erde fest. Du musst abheben, nicht mit dem Kopf, sondern mit der Seele.«
    Das versuchte ich. Ich stellte mir Helen vor, die flach auf dem Rücken und weit weg in einem Krankenhausbett lag. Ihr Kopf war verbunden.
    Helen – ich bin bei dir –, Helen!
    Damit war ich wieder bei den Worten – und in Cliff House. Helen war in weiter Ferne.
    Helen! Der Name war ja schon ein Wort.
    Â»Lösch sie aus!«
    Â»Ich kann nicht ohne Worte denken«, protestierte ich.
    Â»Du kannst es«, sagte Lia. »Stell dir vor, du wärst taub geboren worden und hättest nie eine menschliche Stimme gehört. Dann könntest du doch trotzdem denken, oder? Das ist nur eine andere Art von Denken. Rein. Ohne Beschränkungen. Heb einfach ab – und reise!«
    Â»Versuche ich doch.«
    Aber sosehr ich mich auch anstrengte, mein Geist wollte nicht aufhören, Gedanken zu formulieren. Ich bin im Krankenhaus. Ich betrete das Zimmer. Ich bin bei meiner Freundin .
    Â»Lösch die Worte aus!«
    Â»Das kann ich nicht!«
    Aber ich versuchte es immer wieder, bis mein Geist vor Erschöpfung dumpf wurde und ich zu keinem Gedanken mehr fähig war.

ZWÖLF
    IN DER NACHT DARAUF VERSUCHTE ich es noch einmal – und in der danach wieder. Jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis. Langsam fühlte ich mich so zerschlagen, als wäre ich stundenlang gegen eine Betonwand gerannt. Mit wachsender Frustration wurde ich auch wütender, nicht nur auf mich selbst, auch auf Lia.
    Â»Warum kann ich das nicht? Du sagst doch, es ist so leicht!«
    Â»Du musst dich von deinem physischen Körper lösen, vorher geht es nicht.«
    Â»Aber wie denn?«
    Â»Lass los! Klammere dich nicht an der Erde fest. Lass die Worte los, die dich da unten anbinden.«
    Da schwang etwas in ihrer Stimme mit, das ganz nach Wut klang. Warum? , fragte ich mich. Was hatte Lia davon, ob ich es nun lernte oder nicht. Sie war doch frei und konnte reisen, wohin immer sie wollte. Warum bedeutete es ihr so viel, dass es mir auch gelang?
    Â»Versuch es noch mal, Laurie«, drängte sie mich. »Versuch es noch mal.«
    Â»Das mach ich doch gerade!«
    Ich wusste gar nicht mehr, ob ich mir selbst oder meiner Schwester gefallen wollte. Mit ganzer Kraft konzentrierte ich mich über viele Meilen hinweg auf mein Ziel. Ich konnte ein Gebäude sehen, das aussah wie ein Krankenhaus, und im Geist bewegte ich mich darauf zu. Ich trat durch den Vordereingang ein und war im Foyer. Irgendwo, gar nicht weit weg, in einer der oberen Etagen, in einem der Zimmer, die vom Flur abgingen, lag meine Freundin in einem schlichten weißen Bett.
    Helen! Der Name blitzte in meinem Kopf auf – und schon war ich wieder in meinem Bett.
    Â»Ich bin wieder da«, flüsterte ich.
    Â»Wieder da!«, sagte Lia verächtlich. »Du warst nie weg. An einen Ort zu denken ist nicht dasselbe, wie dort hinzukommen. Wenn du es wirklich wolltest …«
    Â»Ich will es

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