Komm zu mir, Schwester!
vielleicht, sie meinte morgen.«
»Das war ihm schon klar«, sagte ich. »Da muss irgendein Notfall dazwischengekommen sein. Er wird anrufen und alles erklären, garantiert.«
Aber der Abend war vergangen und das Telefon war stumm geblieben. Nach dem Essen hatten wir Weihnachtslieder gesungen und die Weihnachtsgeschichte gelesen, wie es bei uns Brauch war. Neal und Meg hatten ihre Weihnachtsstrümpfe aufgehängt und waren dann ins Bett geschickt worden. Mom stellte auch fest, dass sie müde war, und Dad beschloss, auf die abendliche Runde am Computer zu verzichten und ebenfalls früh schlafen zu gehen, um Kräfte für den nächsten Tag zu sammeln.
»Ich glaub, ich ruf noch mal bei Jeff an«, sagte ich.
Dad sah mich missbilligend an. »Nicht übertreiben, Laurie. Eigentlich müsste er anrufen. Wenn er uns vergessen haben sollte, dann lass ihn doch morgen früh mal ordentlich zusammenzucken, danach kann er hier mit einer Entschuldigung auflaufen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es einfach vergessen hat«, sagte ich. »SchlieÃlich hat Jeff nicht so viele Termine, dass er den Ãberblick über seine Einladungen verlieren könnte. Ich würde besser schlafen, wenn ich ihn fragen könnte, was los war.«
Aber als ich die mir mittlerweile vertraute Nummer wählte, meldete sich immer noch niemand. Ich lieà das Telefon lange klingeln. SchlieÃlich legte ich auf und stieg die Treppe hoch zu meinem Zimmer. Von Lia keine Spur. Ich zog mich aus und ging ins Bett, zögerte aber einen Augenblick, bevor ich nach dem Lichtschalter langte.
Was sollâs , dachte ich. Jetzt ist sie so stark geworden, dass sie bei Helligkeit ebenso erscheinen kann wie im Dunkeln. Wenn sie kommen will, kommt sie, ob das Licht nun an ist oder nicht.
Trotzig knipste ich die Lampe aus und schloss die Augen. Der Schlaf kam nicht schnell, doch als er schlieÃlich kam, schlief ich tief und wurde nicht von Träumen gestört.
Und jetzt war Weihnachtsmorgen, den feierte man eigentlich fröhlich, doch ich war nicht in der Stimmung dazu. Ãber Nacht hatte meine Sorge um Jeff sich in Wut verwandelt. Egal, was auch passiert war, es gab keine Entschuldigung dafür, dass er nicht angerufen hatte. Ich hatte gedacht, wir wären Freunde, aber so ging man mit seinen Freunde nicht um.
»Laurie!«, rief Dad von unten. »Jetzt beeil dich mal! Wir können die beiden nicht ewig in Schach halten.«
»Bin schon da!« Energisch schob ich die ganze Geschichte in den äuÃersten Winkel meines Hinterkopfs und stand auf. Immerhin war Weihnachten, ich könnte doch wenigstens versuchen, das zu genieÃen. Ich zog den Bademantel an und lief nach unten in ein Wohnzimmer, in dem die Lichter vom Weihnachtsbaum mit den Augen meiner Geschwister um die Wette funkelten.
Für die Strümpfe brauchten sie keine fünf Minuten. Wie wilde Tiere fielen die beiden über sie her. Danach frühstückten wir, das war auch so Brauch in unserer Familie, denn so hielt die Spannung länger an. Als wir schlieÃlich zu den Geschenken unterm Baum kamen, wechselten wir uns mit dem Auspacken ab, damit die Aufregung so lange wie möglich andauerte. Alle bewunderten glücklich und lautstark alles, und mein eigener Beutehaufen wuchs dabei mit Kleidern, Büchern und CDs immer weiter an.
Das letzte Geschenk war das Päckchen von Helen. Vorsichtig hielt ich es in den Händen und überlegte, ob in einer so leichten Schachtel überhaupt etwas verpackt sein konnte.
»Ich finde, ich sollte das nicht aufmachen«, sagte ich leise. »Ich sollte es eingewickelt stehen lassen und es später aufmachen, wenn es ihr wieder besser geht.«
»Es ist ein Weihnachtsgeschenk«, sagte Mom. »Du solltest es heute bekommen. Und sie würde bestimmt wollen, dass du es auch auspackst, Schatz.«
»Vermutlich hast du recht.« Trotzdem saà ich mit dem kleinen Päckchen in den Händen da und sträubte mich dagegen, es zu öffnen. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass die letzte noch bestehende Verbindung zwischen Helen und mir abreiÃen würde, sobald ich es getan hatte.
»Mach schon, Laurie«, drängelte Neal. »Lass mal sehen, was sie dir geschenkt hat!«
»Ich wette, es ist Schmuck«, sagte Megan. »Die Schachtel ist so klein.«
»Okay, okay. Ich öffne es.« Ich löste die Schleife und zog die Schachtel aus dem
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