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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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jetzt nicht denken«, sagte ich. »Wir reden später. Okay?«
    Und dann fielen mir die Augen zu und ich dachte an Meerjungfrauen, denen lange, nasse Haare über die Schultern flossen. Mühelos glitten sie durch die mit Wasser gefüllten Gänge ihrer Wohnung in der Unterwelt. Megans Beschreibung traf haargenau und ich schloss mich ihnen an. Vielleicht hatte ich ein wenig geschlafen. Oder vielleicht verlor ich dieses Mal wirklich das Bewusstsein oder merkte gar nicht, wie viel Zeit verging.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, hatte sich etwas verändert. Meine Sinne waren schärfer geworden. Ich hielt Jeffs Hand fester und er erwiderte den Druck.
    Â»Gott sei Dank«, sagte er. »Ich dachte schon, du wärst vielleicht …«
    Â»Nein, ich bin wach.«
    Â»Wie schwer verletzt bist du? Kannst du dich aufsetzen?«
    Â»Mal versuchen.«
    Â»Probier doch, ein Stück näher ranzurücken. Hier ist der Felsvorsprung breiter. Da kannst du nicht so leicht abrutschen.«
    Die Vorstellung, noch weiter abzurutschen, war so beängstigend, dass ich alles versucht hätte. Ich riss mich also zusammen und richtete mich langsam in eine sitzende Stellung auf. Sofort wurde mir klar, dass sich der Schmerz, der eben noch überall zu sein schien, auf meine rechte Schulter konzentrierte. Ich zögerte, stützte mich eine Weile auf meinen linken Ellenbogen und stemmte mich dann weiter hoch.
    Irgendwer gab ein Stöhnen von sich, und dann merkte ich, dass ich es war.
    Â»Ist es so schlimm?«, fragte Jeff mitfühlend.
    Â»Meine Schulter tut weh. Mehr kann ich nicht sagen. Und was ist mit dir?«
    Â»Ich glaube, ich hab mir das Bein gebrochen«, sagte Jeff. »Gestern hat es wie verrückt wehgetan. Aber mittlerweile ist es irgendwie taub geworden.«
    Â»Du brauchst einen Arzt!«
    Â»Einen Arzt? Laurie, ich bitte dich.«
    Â»Wenn ein gebrochener Knochen nicht gerichtet wird, wächst er schief zusammen.«
    Ich fand, dass sich das total logisch anhörte, deshalb konnte ich nicht verstehen, warum er schwieg.
    Dann sagte Jeff leise: »Das macht doch nichts. Wir kommen hier sowieso nicht wieder raus.«
    Â»Aber natürlich tun wir das«, sagte ich. »Wir sind ja nicht bis zum Mittelpunkt der Erde gerutscht. Bis zu dem Loch da oben sind es doch höchsten vier Meter, und wir sind keine fünfzig Meter von Cliff House entfernt. Wenn ich nicht zum Essen komme, werden meine Eltern mich suchen und sie lassen Seile runter oder sonst was und holen uns hier raus.«
    Â»Klar, sie werden suchen, aber wie kommst du darauf, dass sie uns auch finden werden?«
    Â»Wir bringen sie dazu«, sagte ich. »Wir schreien, bis sie uns hören.«
    Â»Glaubst du etwa, das hätte ich noch nicht versucht? Hör dir doch nur mal meine Stimme an. Ich krieg kaum noch einen Ton raus. Gestern hab ich den ganzen Tag hier gelegen und geschrien, nach dir … nach meinem Dad … Gott – und was hatte ich davon? Die Brandung ist so laut, dass man schon direkt über uns stehen muss, um was hören zu können. Und die Nähe zu Cliff House bringt uns auch nicht weiter. Von dort kann man diese Spalte zwischen den Felsen gar nicht sehen, nicht mal am Ende des Pfades ist sie zu sehen. Man muss schon genau drüber stehen. Das weißt du. Sonst wärst du ja nicht reingefallen.«
    Â»Meine Eltern werden uns finden«, sagte ich stur. »Du kennst meinen Vater nicht.«
    Â»Kann sein, aber ich erkenne eine aussichtslose Lage.« Er veränderte seine Lage. »Meinst du, du kannst näher heranrücken?«
    Â»Wenn du mir hilfst.«
    Â»Ich will dir nicht wehtun.«
    Â»Das geht schon. Pass aber auf meine rechte Schulter auf.«
    Ich lehnte mich in seine Richtung, und er legte den Arm um mich und zog mich sanft über den Felsvorsprung. Schmerz durchbohrte mich, ich musste die Lippen fest zusammenpressen, damit ich nicht aufheulte.
    Jeff hatte vermutlich gehört, wie scharf ich einatmete, denn er zögerte. »Ist auch ganz bestimmt alles in Ordnung mit dir?«
    Â»Ja doch. Wir haben es fast geschafft.«
    Â»Gut, dann beiß die Zähne zusammen.« Er hievte mich das letzte Stück zu sich rüber, dann lehnte ich mich mit einem Seufzer der Erleichterung an ihn. Die Vorstellung, in dieses dunkle Loch abzurutschen, war entsetzlicher als der schlimmste Albtraum.
    Jetzt, neben ihm, spürte ich, wie kalt er war. Er zitterte am ganzen

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