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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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stirbt stets zuletzt, doch trotzdem war ich gezwungen zuzugeben, dass sie vermutlich recht hatte. Köpfen und Verbrennen gehörte nicht zum Standardrepertoire des hart arbeitenden Durchschnittskillers. Die meisten würden einem einfach eins über den Schädel ziehen, einen Anker an die Füße binden und die Leiche ins Meer werfen.
    Deshalb waren wir aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Weg, um uns die Leiche von jemandem anzusehen, den wir mit ziemlicher Gewissheit für einen Mörder gehalten hatten und der auf dieselbe Weise umgebracht worden war wie seine Opfer. Mein munteres altes Ich hätte die köstliche Ironie sicherlich zu schätzen gewusst, doch in meinem gegenwärtigen Zustand schien sie nur ein erneuter Affront gegen eine gesittete Existenz.
    Deborah ließ mir nur wenig Zeit, darüber nachzusinnen und mürrisch zu werden; sie peitschte durch den Verkehr von Coconut Grove und schwenkte auf den Parkbereich neben dem Bayfront Park, wo das Familientreffen bereits in vollem Gange war. Drei Streifenwagen standen da, und Camilla Figg suchte auf einem verbeulten roten Geo in einer der Parklücken nach Fingerabdrücken – vermutlich Kurt Wagners Auto.
    Ich stieg aus und sah mich um, und auch ohne innere Stimme, die mir leise Hinweise zuzischte, merkte ich sofort, dass etwas in diesem Bild fehlte. »Wo ist die Leiche?«, fragte ich Deborah.
    Sie war schon unterwegs zum Eingang des Jachtclubs. »Draußen auf der Insel«, sagte sie.
    Ich zwinkerte. Ohne dass ich einen Grund dafür zu nennen vermochte, sträubten sich mir beim Gedanken an die Leiche auf der Insel die Nackenhaare, doch als ich auf der Suche nach einer Antwort hinaus auf das Wasser blickte, sah ich nur, wie die Nachmittagsbrise über die Kiefern der Inselchen vor Dinner Key strich und dann direkt in mein hohles Inneres blies.
    Deborah stupste mich mit dem Ellbogen. »Komm«, sagte sie.
    Ich sah auf den Rücksitz zu Cody und Astor, die soeben die Rätsel der Gurtöffnung gelöst hatten und aus dem Auto krabbeln wollten. »Wartet hier«, sagte ich zu ihnen. »Ich bleibe nicht lange weg.«
    »Wo willst du hin?«, fragte Astor.
    »Ich muss zu der Insel«, erklärte ich.
    »Ist dort ein toter Mensch?«
    »Ja«, antwortete ich.
    Sie sah kurz zu Cody, dann wieder zu mir. »Wir wollen mit.«
    »Nein, auf gar keinen Fall, nein«, erwiderte ich. »Ich hatte schon letztes Mal genug Schwierigkeiten. Wenn ich euch noch eine Leiche anschauen lasse, wird eure Mutter mich in eine verwandeln.«
    Cody fand das lustig, er gab ein leises Geräusch von sich und schüttelte den Kopf.
    Ich hörte einen Ruf und sah durch das Tor in die Marina. Deborah war schon auf dem Anleger und wollte gerade in das dort ankernde Polizeiboot steigen. Sie wedelte mit dem Arm und brüllte: »Dexter!«
    Astor stampfte mit dem Fuß auf, um sich bemerkbar zu machen, und ich wandte mich wieder ihr zu. »Ihr müsst hier warten«, sagte ich, »und ich muss jetzt los.«
    »Aber, Dexter, wir wollen auf dem Boot mitfahren«, bettelte sie.
    »Das könnt ihr aber nicht. Wenn ihr euch benehmt, nehme ich euch am Wochenende auf meinem Boot mit.«
    »Sehen wir dann einen toten Menschen?«, fragte Astor.
    »Nein. Wir werden eine ganze Weile keine Toten mehr sehen.«
    »Aber du hast es versprochen!«, maulte sie.
    »Dexter!«, brüllte Deborah wieder. Ich winkte ihr zu, was nicht die Reaktion zu sein schien, auf die sie gehofft hatte, denn sie winkte aufgebracht zurück.
    »Astor, ich muss los«, sagte ich. »Bleibt hier. Wir reden später darüber.«
    »Immer später«, murrte sie.
    Auf dem Weg zum Anleger blieb ich stehen und sprach den Streifenpolizisten dort an, einen großen, schweren Mann mit schwarzen Haaren und äußerst niedriger Stirn. »Könnten Sie meine Kinder dort drüben ein wenig im Auge behalten?«, bat ich.
    Er starrte mich an. »Was bin ich, Kindergärtner?«
    »Nur ein paar Minuten. Sie sind sehr gut erzogen.«
    »Hör mal, Sportsfreund«, begann er, doch ehe er seinen Satz beenden konnte, ertönte ein Rauschen, und Deborah stand vor uns.
    »Gottverdammt, Dexter«, schnauzte sie. »Schieb deinen Arsch auf das Boot!«
    »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Ich muss erst jemanden finden, der auf die Kinder aufpasst.«
    Deborah knirschte mit den Zähnen. Dann warf sie einen Blick auf den großen Bullen und las sein Namensschild. »Suchinsky«, kommandierte sie. »Sie passen auf die verdammten Kinder auf.«
    »Ach, kommen Sie, Sarge«, sagte er. »Gütiger Himmel.«
    »Sie bleiben bei

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