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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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äh …«
    »Ja«, bemerkte sie, »bis äh war ich auch schon.«
    »Und du lässt Wilkins observieren.«
    »Um Himmels willen, ja, wir observieren Wilkins.«
    Ich musterte noch einmal die Leiche, doch sie verriet mir nicht mehr, als ich bereits wusste, also fast nichts. Mein Verstand bewegte sich weiter im Kreis: Falls Wagner Moloch gewesen war, und jetzt war Wagner tot, getötet von Moloch …
    Ich stand auf. Einen Moment lang war mir schwindlig, als stürzte grelles Licht auf mich, und aus der Ferne hörte ich das Anschwellen dieser grauenhaften Musik. Ich hegte diesen einen Moment lang nicht den geringsten Zweifel, dass irgendwo in der Nähe der Gott nach mir rief – der echte Gott, nicht irgendein psychotischer Witzbold.
    Ich schüttelte den Kopf, um ihn zum Verstummen zu bringen, und fiel beinahe hin. Ich spürte eine Hand, die mich am Arm packte, um mich festzuhalten, aber ob es Vince war, Debs oder Moloch persönlich, vermochte ich nicht zu sagen.
    Eine Stimme rief aus weiter Ferne meinen Namen, doch sang sie ihn, die Kadenz steigerte sich zu dem schrecklich vertrauten Rhythmus jener Musik. Ich schloss die Augen, spürte die Hitze auf meinem Gesicht, und die Musik wurde lauter. Jemand schüttelte mich, und ich schlug die Augen auf.
    Die Musik verstummte. Die Hitze war nur die Sonne Miamis, während der Wind die Wolken eines nachmittäglichen Gusses vor sich her trieb. Deborah hielt mich an den Ellbogen gepackt und schüttelte mich, sagte geduldig wieder und wieder meinen Namen: »Dexter. He, Dex, komm schon. Dexter. Dexter.«
    »Ich bin hier«, meldete ich mich, obgleich ich mir nicht ganz sicher war.
    »Alles in Ordnung, Dex?«, fragte sie.
    »Ich glaube, ich bin zu schnell aufgestanden.«
    Sie sah mich zweifelnd an. »Mhm«, meinte sie.
    »Ehrlich, Debs, mir geht’s wieder gut«, versicherte ich. »Glaube ich zumindest.«
    »Glaubst du.«
    »Ja. Ich meine, ich bin einfach zu schnell aufgestanden.«
    Sie sah mich noch einen Moment an, dann gab sie mich frei und trat einen Schritt zurück. »Okay. Wenn du es bis zum Boot schaffst, können wir jetzt zurück.«
    Kann sein, dass ich noch immer benommen war, doch ihre Worte schienen keinen Sinn zu ergeben, beinahe, als wären es erfundene Silben. »Zurück?«, wiederholte ich.
    »Dexter«, mahnte sie. »Wir haben sechs kopflose Leichen, und unser einziger Verdächtiger liegt hier auf dem Boden, ebenfalls ohne Kopf.«
    »Richtig«, sagte ich und vernahm dabei unter meiner Stimme das leise Schwingen eines Trommelschlags. »Also, wohin fahren wir?«
    Deborah ballte die Fäuste und biss die Zähne zusammen. Sie sah auf die Leiche hinunter, und einen Augenblick glaubte ich, sie würde tatsächlich darauf spucken. »Wie wäre es mit dem Typen, den du in den Kanal gescheucht hast?«, schlug sie schließlich vor.
    »Starzak? Nein, er hat gesagt …« Ich bremste mich, doch nicht rechtzeitig, da Deborah mich anherrschte.
    »Er hat
gesagt?
Wann hast du, verdammt noch mal, mit ihm gesprochen?«
    Um mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ich war noch immer ein wenig benommen, und ich hatte gesprochen, ohne vorher nachzudenken, und jetzt steckte ich gewissermaßen in der Klemme. Ich konnte meiner Schwester ja nicht gut mitteilen, dass ich neulich abends mit ihm geredet hatte, nachdem ich ihn an eine Werkbank gefesselt hatte, um ihn in ordentliche kleine Stücke zu schneiden. Doch scheinbar war das Blut in mein Gehirn zurückgekehrt, denn ich antwortete rasch: »Ich meine, er
schien
«, verbesserte ich mich. »Er schien ein wenig … Ich weiß nicht … Ich glaube, es war was Persönliches gegen mich, so als hätte ich ihn auf der Straße geschnitten oder so.«
    Deborah sah mich einen Augenblick zornig an, doch schien sie zu akzeptieren, was ich sagte, denn sie drehte sich um und trat gegen den Sand. »Nun, wir haben sonst nichts«, sagte sie. »Es kann nicht schaden, ihn zu überprüfen.«
    Es schien nicht besonders klug, ihr zu verraten, dass ich ihn bereits recht gründlich überprüft hatte, weit über die begrenzten Möglichkeiten der Polizei hinaus, deshalb signalisierte ich nickend meine Zustimmung.

[home]
    34
    S onst gab es auf der kleinen Insel nicht mehr viel zu sehen. Vince und die übrigen Techniker würden alles finden, was die Mühe wert war, und unsere Gegenwart behinderte sie nur. Deborah war ungeduldig und wollte umgehend zurück aufs Festland, um Verdächtige einzuschüchtern. Deshalb liefen wir über den Strand und gingen an Bord des Polizeiboots,

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