Komm zurück, mein dunkler Bruder
sprang ein Auto an und brauste davon.
Ich schlug die Tür zu und verrammelte sie.
Und dann war ich wieder einmal an der Reihe, am Küchentisch zu sitzen, Kaffee zu trinken und über das Mysterium des Lebens nachzudenken.
Es war 3.22 Uhr, als ich mich setzte, und 6 Uhr, als Rita endlich den Raum betrat.
»Dexter«, sagte sie, einen Ausdruck ermüdender Überraschung im Gesicht.
»Leibhaftig«, bestätigte ich, wobei es mir ungeheuer schwerfiel, meine künstliche fröhliche Fassade aufrechtzuerhalten.
Sie runzelte die Stirn. »Was ist los?«
»Gar nichts«, wehrte ich ab »Ich konnte einfach nicht schlafen.«
Rita senkte den Blick, schlurfte zur Kaffeemaschine hinüber und schenkte sich eine Tasse ein. Dann setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch und trank einen Schluck. »Dexter«, sagte sie, »kalte Füße zu bekommen ist vollkommen normal.«
»Selbstverständlich«, stimmte ich zu, ohne die geringste Ahnung, wovon sie eigentlich sprach, »man kann sich ja warme Socken anziehen.«
Mit einem erschöpften Lächeln schüttelte sie leicht den Kopf. »Du weißt, was ich meine«, sagte sie, was gar nicht stimmte. »Die Hochzeit.«
In meinem Hinterkopf erglomm ein schwaches Licht, und beinahe hätte ich
aha
gesagt. Natürlich, die Hochzeit. Menschliche Frauen sind vom Thema Hochzeiten besessen, selbst wenn es nicht um ihre eigene geht. Geht es jedoch um ihre eigene, gilt dieser Vorstellung jeder Gedanke, ob schlafend oder wachend. Rita betrachtete alles, was geschah, durch eine hochzeitsfarbene Brille. Konnte ich nicht schlafen, lag das an schlimmen Träumen, verursacht von unserer bevorstehenden Hochzeit.
Ich dagegen war davon nicht im mindesten betroffen. Ich musste mir wegen einer Menge Dinge Sorgen machen, die Hochzeit lief sozusagen auf Autopilot. Zu einem bestimmten Zeitpunkt würde ich erscheinen, sie würde stattfinden, und das war’s dann. Doch Rita einzuladen, diese Sicht der Dinge mit mir zu teilen, war eindeutig ein Ding der Unmöglichkeit, gleichgültig, wie vernünftig sie mir zu sein schien. Nein, ich musste mir einen plausiblen Grund für meine Schlaflosigkeit einfallen lassen, und zusätzlich musste ich sie meiner Begeisterung für das wunderbare, sich anbahnende Ereignis versichern.
Ich sah mich auf der Suche nach einem Einfall im Zimmer um und entdeckte schließlich die beiden Vesperdosen neben der Spüle. Ein guter Anfang: Ich langte tief in den Bodensatz meines durchweichten Verstands und zog dann den einzigen Gedanken hervor, der noch halbwegs trocken war. »Was, wenn ich nicht gut genug für Cody und Astor bin?«, fragte ich. »Wie kann ich ihnen ein Vater sein, wenn ich es doch nicht bin? Was, wenn ich es einfach nicht kann?«
»O Dexter. Du bist ein wunderbarer Vater. Sie lieben dich.«
»Aber«, wandte ich ein, gleichzeitig um Glaubwürdigkeit wie um den nächsten Satz ringend, »noch sind sie klein. Wenn sie älter werden. Wenn sie etwas über ihren
richtigen
Vater erfahren wollen …«
»Sie wissen bereits alles, was sie über diesen Hurensohn wissen müssen«, knurrte Rita. Sie überraschte mich: Ich hatte noch nie gehört, dass sie solche Wörter benutzte. Möglicherweise hatte sie das auch nicht, denn sie wurde rot. »Du bist ihr richtiger Vater«, sagte sie. »Du bist der Mann, zu dem sie aufschauen, auf den sie hören und den sie lieben. Du bist genau der Vater, den sie brauchen.«
Ich nehme an, das war zumindest teilweise richtig, da ich der Einzige war, der sie den Code Harry und andere Dinge lehren konnte, die sie wissen mussten, obgleich ich vermute, dass Rita etwas geringfügig anderes im Sinn hatte. Doch schien es taktisch ungeschickt, darauf hinzuweisen, deshalb sagte ich nur: »Ich will meine Sache einfach gut machen. Ich darf nicht versagen, keinen Augenblick.«
»O Dex« sagte sie. »Leute machen andauernd Fehler.« Das war wohl wahr. Ich hatte schon häufig registriert, dass Versagen eines der Hauptcharakteristika der Spezies zu sein scheint. »Doch wir machen weiter, und am Ende wird alles gut. Ganz bestimmt. Du wirst es großartig machen, du wirst schon sehen.«
»Glaubst du das wirklich?«, fragte ich, nur milde beschämt, dass ich so dick auftrug.
»Ich
weiß
es«, versicherte sie mir mit ihrem patentierten Rita-Lächeln. Sie langte über den Tisch und umklammerte meine Hand. »Ich werde nicht zulassen, dass du versagst«, sagte sie. »Du gehörst jetzt mir.«
Es war ein starkes Stück, die Bürgerrechte einfach so ad acta zu legen, indem sie
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