Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
behauptete, mich zu besitzen. Doch immerhin schien dadurch eine unangenehme Situation angenehm zu enden, deshalb ließ ich es durchgehen. »In Ordnung«, sagte ich. »Lass uns frühstücken.«
    Sie neigte ihren Kopf zur Seite und betrachtete mich einen Moment, und mir wurde bewusst, dass ich eine falsche Note angeschlagen haben musste, doch sie zwinkerte nur ein paarmal, ehe sie sagte: »Na gut«, aufstand und begann, das Frühstück vorzubereiten.
     
    Der Andere war in der Nacht zur Tür gekommen und hatte sie dann voller Angst wieder zugeschlagen – in dieser Hinsicht gab es keinen Zweifel. Er hatte die Angst gespürt. Er hörte den Ruf und gehorchte, und er hatte Angst. Und so zögerte der Beschatter nicht länger.
    Die Zeit war gekommen.
    Jetzt.

[home]
    36
    I ch war todmüde, verwirrt und, das war das Schlimmste, noch immer verängstigt. Jedes leichtfertige Hupen ließ mich auf dem Fahrersitz hochschrecken und nach einer Waffe zur Selbstverteidigung Ausschau halten, und jedes Mal, wenn ein unschuldiges Auto meiner Stoßstange zu nahe kam, starrte ich zornig in den Rückspiegel und wartete auf ein ungewöhnlich feindliches Manöver oder das Anschwellen der verhassten Traummusik in meinem Verstand.
    Etwas war hinter mir her. Ich wusste noch immer nicht warum oder was, abgesehen von einem vagen Zusammenhang mit einem altertümlichen Gott, doch ich wusste, dass es hinter mir her war, und auch wenn es mich nicht einfach einfangen konnte, machte es mich so mürbe, dass es ab einem gewissen Punkt eine Erleichterung sein würde, aufzugeben.
    Wie zerbrechlich das menschliche Wesen ist – und ohne den Passagier war ich nichts anderes, die armselige Imitation eines menschlichen Wesens. Schwach, weich, langsam und dumm, blind, taub und nichtsahnend, hilflos, hoffnungslos und gehetzt. Ja, ich war beinahe bereit, mich hinzulegen und überfahren zu lassen, von wem auch immer. Aufgeben, mich von der Musik umspülen lassen, die mich in das freudvolle Feuer führt, den leeren Wonnen des Todes entgegen. Kein Kampf mehr, keine Verhandlungen, nichts außer dem Ende von Dexter. Noch ein paar Nächte wie die vergangene, und ich hatte nichts mehr dagegen.
    Nicht einmal die Arbeit schaffte Erleichterung. Deborah lauerte bereits auf mich und schlug zu, kaum dass ich aus dem Fahrstuhl getreten war.
    »Starzak ist verschwunden«, verkündete sie. »Die Post mehrerer Tage im Briefkasten, Zeitungen auf der Einfahrt – er ist weg.«
    »Da sind aber gute Neuigkeiten, Debs«, meinte ich. »Wenn er geflohen ist, beweist das doch seine Schuld, oder nicht?«
    »Es beweist einen Scheiß«, antwortete sie. »Dasselbe war mit Kurt Wagner, und er wurde tot aufgefunden. Woher soll ich wissen, dass mit Starzak nicht dasselbe passiert?«
    »Wir könnten ihn zur Fahndung ausschreiben«, schlug ich vor. »Vielleicht erwischen wir ihn als Erste.«
    Deborah trat gegen die Wand. »Verdammt noch mal, wir sind bis jetzt nirgends die Ersten gewesen, wir waren nicht mal rechtzeitig. Hilf mir, Dexter«, bettelte sie. »Die Sache macht mich wahnsinnig.«
    Ich hätte antworten können, dass sie bei mir weitaus mehr anrichtete, doch schien das nicht besonders mildtätig. »Ich werde es versuchen«, versprach ich stattdessen, und Deborah schlurfte durch den Flur davon.
    Ich hatte noch nicht einmal mein Kabuff betreten, als Vince Masuoka mich mit einem gewaltigen künstlichen Stirnrunzeln aufhielt: »Wo sind die Doughnuts?«, fragte er anklagend.
    »Welche Doughnuts?«, erwiderte ich.
    »Du warst an der Reihe«, sagte er. »Du solltest heute Doughnuts mitbringen.«
    »Ich hatte eine schlimme Nacht«, entschuldigte ich mich.
    »Und deshalb sollen wir jetzt alle einen schlimmen Vormittag haben?«, herrschte er mich an. »Hältst du das für gerecht?«
    »Für Gerechtigkeit bin ich nicht zuständig, Vince«, antwortete ich. »Nur für Blutspuren.«
    »Pffh«, machte er. »Und für Doughnuts offensichtlich auch nicht.« Und stapfte in einer beinahe überzeugenden Imitation gerechter Empörung davon, während ich darüber nachsann, dass ich mich an keine Gelegenheit erinnern konnte, in der Vince bei einem verbalen Austausch mit mir das letzte Wort gehabt hatte. Ein weiteres Anzeichen, dass der Zug abgefahren war. War wirklich bald Endstation für den armen dementen Dexter?
    Der restliche Arbeitstag war lang und schauderhaft, ein Arbeitstag, wie er sein sollte, so hat man uns zumindest immer versichert. Dexter hatte das nie erlebt; ich war meinen Aufgaben stets munter

Weitere Kostenlose Bücher