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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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und sie lief uns entgegen. »Hallihallo«, rief sie fröhlich. »Und was habt ihr zwei heute gelernt?«
    »Wir haben Dreck angeguckt«, sagte Cody. »Von meinem Schuh.«
    Rita zwinkerte. »Ehrlich?«
    »Ein Bröckchen Popcorn war auch dabei«, ergänzte Astor. »Und wir haben durchs Mikrofon geguckt und konnten genau sehen, wo wir gewesen sind.«
    »Mikro
skop
«, verbesserte Cody.
    »Ist doch egal.« Astor zuckte die Achseln. »Aber man konnte auch sehen, wem das Haar gehört. Und ob es Ziege war oder Teppich.«
    »Wow«, sagte Rita, die irgendwie überwältigt und verunsichert wirkte. »Ich schätze, ihr habt ganz schön was erlebt.«
    »Ja«, sagte Cody.
    »Na dann«, meinte Rita. »Warum macht ihr zwei jetzt nicht eure Hausaufgaben, und ich bringe euch eine Kleinigkeit zu essen?«
    »Okay«, sagte Astor. Sie und Cody huschten den Weg entlang ins Haus, und Rita sah ihnen nach, bis sie drinnen verschwunden waren. Dann drehte sie sich zu mir um und hakte sich bei mir ein, während wir den beiden hinterherschlenderten.
    »Ist alles gut gelaufen?«, fragte sie. »Ich meine, mit … sie schienen sehr, äh …«
    »Sind sie. Ich glaube, sie beginnen zu begreifen, dass solcher Unfug Konsequenzen hat.«
    »Du hast ihnen doch nichts zu Schlimmes gezeigt, oder?«
    »Absolut nicht. Nicht einmal Blut.«
    »Gut«, sagte sie und lehnte ihren Kopf an meine Schulter, was, wie ich annehme, der Preis ist, den man zahlen muss, wenn man jemanden heiratet. Vielleicht handelte es sich einfach um eine Methode, öffentlich ihr Revier zu markieren, in welchem Fall ich äußerst dankbar dafür sein sollte, dass sie nicht der tierischen Variante den Vorzug gab. Wie auch immer, die Zurschaustellung von Zuneigung durch körperlichen Kontakt ist etwas, das ich nicht wirklich verstehe, und mir war ein wenig unbehaglich, aber dennoch legte ich einen Arm um sie, da ich wusste, dass dies die korrekte menschliche Reaktion war, und wir folgten den Kindern ins Haus.
     
    Ich bin ziemlich sicher, dass die Bezeichnung Traum nicht ganz korrekt ist. Doch in der Nacht kehrte der Klang in meinen armen, geschundenen Kopf zurück, die Musik und der Gesang und das metallische Klirren, das ich zuvor schon vernommen hatte, und ich spürte die Hitze in meinem Gesicht und eine Woge wilder Freude, die von der leeren Stelle in meinem Inneren aufstieg, die nun schon so lange unbesetzt war. Ich erwachte an der Haustür, die Hand am Türknauf, schweißbedeckt, zufrieden, erfüllt und nicht im Geringsten beklommen, wie ich es hätte sein sollen.
    Selbstverständlich kannte ich den Begriff »schlafwandeln«. Aber ebenso wusste ich aus meinem Grundkurs in Psychologie, dass die Gründe, warum jemand schlafwandelt, nichts mit dem Hören von Musik zu tun haben. Und in meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass ich verängstigt sein sollte, besorgt, mich wegen der Dinge, die in meinem Unterbewusstsein abliefen, vor Pein krümmen sollte. Sie gehörten nicht dorthin, es war unmöglich, dass sie dort waren – und doch waren sie es. Und ich war froh darüber. Das war das Furchterregendste daran.
    Die Musik war in Dexters Auditorium nicht erwünscht. Ich wollte sie nicht. Ich wollte, dass sie verschwand. Doch sie kam und spielte und machte mich gegen meinen Willen übernatürlich glücklich, und dann stellte sie mich vor der Haustür ab, wo ich anscheinend versuchte, hinauszugelangen und …
    Und was? Es war ein Ungeheuer-unter-dem-Bett-Gedanke, der meinem Echsenhirn entsprang, aber …
    Handelte es sich um einen zufälligen, ungeplanten Impuls meines Unterbewusstseins, der mich aus dem Bett geholt und den Flur hinunter zur Tür geschoben hatte? Oder versuchte mich etwas dazu zu drängen, die Tür zu öffnen und nach draußen zu gehen? Er hatte den Kindern gesagt, ich würde ihn finden, wenn die Zeit gekommen war – war sie gekommen?
    Wollte jemand Dexter allein und bewusstlos in der Nacht?
    Ein wunderbarer Gedanke, und ich war schrecklich stolz darauf, denn er bedeutete, dass ich eindeutig einen Hirnschaden erlitten hatte und nicht länger verantwortlich gemacht werden konnte. Wieder einmal betrat ich neue Pfade im Land der Dummheit. Es war unmögliche, idiotische, stressinduzierte Hysterie. Niemand auf Erden konnte so viel Zeit zu verschwenden haben; so wichtig war Dexter für niemanden, abgesehen von Dexter selbst. Und um das zu beweisen, schaltete ich die Verandabeleuchtung ein und öffnete die Tür.
    Auf der anderen Straßenseite, ungefähr fünfzig Meter weiter,

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