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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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und geschäftig nachgegangen, ohne jemals auf die Uhr zu sehen oder mich zu beklagen. Vielleicht hatte ich die Arbeit genossen, weil ich mir der Tatsache bewusst war, dass sie Teil des Spiels war, ein Baustein des Großen Scherzes von Dexter, der allen ein Schnippchen schlug und als Mensch durchging. Doch ein wirklich guter Scherz verlangt zumindest eine weitere Person, und da ich nun allein war, meines inneren Publikums beraubt, schien die Pointe nicht zu zünden.
    Ich plagte mich mannhaft durch den Vormittag, inspizierte eine Leiche und kehrte dann zu einer sinnlosen Runde Laborarbeit zurück. Ich beendete den Tag mit der Bestellung einiger Vorräte und dem Verfassen eines Berichts. Als ich gerade meinen Schreibtisch aufräumte und nach Hause wollte, klingelte das Telefon.
    »Ich brauche deine Hilfe«, sagte meine Schwester barsch.
    »Selbstverständlich«, erwiderte ich. »Schön, dass du es zugibst.«
    »Ich habe noch bis Mitternacht Dienst«, sagte sie, meinen witzigen und pikanten Scherz ignorierend, »und Kyle kann die Sturmläden nicht allein anbringen.«
    Sehr häufig in diesem Leben finde ich mich mitten in einem Gespräch und merke, dass ich nicht weiß, worüber ich spreche. Sehr beunruhigend, doch ginge es allen so, besonders denen in Washington, wäre die Welt ein wesentlich besserer Ort.
    »Warum muss Kyle denn überhaupt Sturmläden anbringen?«, erkundigte ich mich.
    Deborah schnaubte. »Himmel, Dexter, was machst du eigentlich den ganzen Tag? Ein Hurrikan zieht auf.«
    Ich hätte gut antworten können, dass ich, was immer ich auch den ganzen Tag machte, nicht genug Muße hatte, um herumzusitzen und dem Wetterbericht zu lauschen. Stattdessen erwiderte ich nur: »Ehrlich, ein Hurrikan. Wie aufregend. Seit wann denn?«
    »Versuch gegen sechs da zu sein. Kyle erwartet dich«, wies sie mich an.
    »In Ordnung«, sagte ich. Doch sie hatte schon aufgelegt.
    Da ich fließend Deborah spreche, nehme ich an, dass ich ihren Anruf als eine Art offizielle Entschuldigung für ihre grundlose Feindseligkeit der letzten Tage hätte annehmen sollen. Gut möglich, dass sie gelernt hatte, den Dunklen Passagier zu akzeptieren, insbesondere, da er fort war. Das hätte mich glücklich machen sollen. Doch angesichts des Tages, der hinter mir lag, war es nur ein weiterer Splitter unter dem Fingernagel des armen, geknechteten Dexter. Darüber hinaus schien es von dem Hurrikan reine Unverschämtheit, diesen Moment für seine sinnlosen Schikanen zu wählen. Wollten denn die Schmerzen und Qualen nie enden, die ich zu erdulden gezwungen war?
    Nun ja, Existenz bedeutet Schwelgen im Elend. Ich verließ mein Büro und machte mich auf den Weg zu Deborahs Gspusi.
    Ehe ich losfuhr, rief ich jedoch Rita an, die nach meinen Berechnungen schon fast zu Hause sein musste.
    »Dexter«, meldete sie sich atemlos. »Ich weiß nicht mehr, wie viele Wasserflaschen wir noch haben, und die Schlangen im Supermarkt reichen bis zum Parkplatz.«
    »Nun, dann müssen wir eben Bier trinken.«
    »Ich glaube, Konserven sind noch ausreichend da, nur das Rindergulasch ist schon zwei Jahre alt«, fuhr sie fort, offensichtlich ohne wahrzunehmen, dass ein anderer etwas gesagt haben könnte. Deshalb ließ ich sie weiterplappern in der Hoffnung, dass sie irgendwann verstummte. »Die Taschenlampen habe ich erst vor zwei Wochen kontrolliert«, sagte sie. »Erinnerst du dich, als der Strom für vierzig Minuten ausgefallen ist? Und die zusätzlichen Batterien liegen im Kühlschrank, im unteren Fach ganz hinten. Cody und Astor sind bei mir, morgen gibt es kein Nachmittagsprogramm, aber jemand hat Astor von Hurrikan Andrew erzählt, und ich glaube, sie hat ein bisschen Angst, könntest du deshalb mit ihnen reden, wenn du nach Hause kommst? Ihnen erklären, dass es nur so was ist wie ein starkes Gewitter und uns nichts passiert, und dass es einfach sehr windig und laut wird und die Lampen eine Weile ausgehen. Und wenn du auf der Heimfahrt einen Laden entdeckst, der nicht ganz so überfüllt ist, halt doch kurz an und bring Wasserflaschen mit, so viele du kriegen kannst. Und Eis. Ich glaube, der Kühler steht immer noch auf dem Regal über der Waschmaschine, wir könnten ihn mit Eis füllen und die verderblichen Sachen reintun. Oh – was ist mit deinem Boot? Kann es da bleiben, wo es liegt, oder musst du was unternehmen? Ich glaube, wir könnten die Sachen aus dem Garten vor Einbruch der Dunkelheit hereinholen, ich bin sicher, dass nichts passieren wird, und vielleicht

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