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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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»Trotzdem ist es ein Fortschritt«, beharrte ich. »Sollen wir uns den Laden an der 8th Street ansehen? Ich kann für dich dolmetschen.« Obwohl in Miami geboren und aufgewachsen, hatte Deborah wunderlicherweise in der Schule Französisch gewählt. Auf Spanisch konnte sie mit knapper Not etwas zu essen bestellen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Zeitverschwendung. Angel soll sich da mal umhören, aber es wird nichts bringen.«
    Und sie behielt recht. Am späten Nachmittag kehrte Angel mit einer sehr hübschen Kerze zurück, auf der ein spanisches Gebet zum heiligen Judas stand, doch in jeder anderen Hinsicht war sein Ausflug in den Laden an der 8th Street Zeitverschwendung gewesen, genau wie Deborah vorhergesagt hatte.
    Wir hatten absolut nichts außer zwei Leichen, keinen Köpfen und einem äußerst miesen Gefühl.
    Das sollte sich ändern.

[home]
    10
    D er nächste Tag verstrich ohne besondere Vorkommnisse. Wir entdeckten weiterhin keine Spur, die uns der Aufklärung der beiden Morde vor der Universität nähergebracht hätte. Einseitig und ungerecht, wie das Leben nun einmal ist, gab Deborah mir die Schuld an unserem Mangel an Fortschritten. Sie war nach wie vor davon überzeugt, dass ich über spezielle magische Kräfte verfügte und diese genutzt hatte, um direkt ins dunkle Herz der Tötungen zu schauen, ihr jedoch aus kleinlichen persönlichen Motiven lebenswichtige Informationen vorenthielt.
    Sehr schmeichelhaft, aber ganz und gar falsch. Die einzige Erkenntnis, die ich in dieser Angelegenheit gewonnen hatte, lautete, dass etwas daran dem Dunklen Passagier Angst eingeflößt hatte, und ich wollte nicht, dass sich das wiederholte. Ich beschloss, mich aus dem Fall herauszuhalten, und da praktisch keine Blutanalyse notwendig war, hätte dies in einem logischen, wohlgeordneten Universum einfach sein müssen.
    Aber leider leben wir nicht an einem solchen Ort. Unser Universum wird von zufälligen Launen beherrscht, von Menschen bewohnt, die über Logik lachen. Im Moment war meine Schwester deren Oberhaupt. Am späten Vormittag des nächsten Tages trieb sie mich in meiner kleinen Zuflucht in die Enge und schleppte mich zu einem Mittagessen mit ihrem Freund Kyle Chutsky. Ich hatte eigentlich nichts gegen Chutsky, außer dass er ständig so auftrat, als wäre er im Besitz der absoluten Wahrheit. Abgesehen davon war er so angenehm und umgänglich, wie ein eiskalter Killer nur sein kann, und es wäre Heuchelei gewesen, wenn ich seine Persönlichkeit aus diesen Gründen abgelehnt hätte. Und da er meine Schwester glücklich zu machen schien, fielen mir auch keine anderen Gründe ein.
    So ging ich also zum Mittagessen, denn erstens war sie meine Schwester, und zweitens verlangte die mächtige Maschine meines Körpers nach ständiger Energiezufuhr.
    Der Brennstoff, nach dem er häufig verlangt, ist ein Sandwich
medianoche
, gewöhnlich mit frittierten
plátano
s als Beilage, begleitet von einem
mamey
-Milchshake. Ich weiß nicht, warum diese einfache, herzhafte Mahlzeit einen so transzendenten Akkord auf den Saiten meines Wesens anschlägt, aber sie ist mit nichts zu vergleichen. Ordentlich zubereitet bringt sie mich einer Ekstase so nahe, wie es mir möglich ist. Und nirgends wird sie so ordentlich zubereitet wie im Café Relampago, ein Laden in der Nähe des Polizeihauptquartiers, in dem die Morgans seit undenklichen Zeiten essen. Es schmeckte so gut, dass selbst Deborahs ewige Griesgrämigkeit nichts verderben konnte.
    »Gottverdammt«, fluchte sie, den Mund voller Sandwich. Es war keine sonderlich originelle Bemerkung, von ihr schon gar nicht, aber sie sagte es mit solchem Nachdruck, dass ich mit Krümeln übersät wurde. Ich trank einen Schluck von meinem ausgezeichneten
batido de mamey
und wartete darauf, dass sie sich näher erklärte, aber stattdessen sagte sie es einfach noch einmal: »Gottverdammt.«
    »Du versuchst wieder einmal, deine Gefühle zu unterdrücken«, tadelte ich. »Aber da ich dein Bruder bin, kann ich erkennen, dass dich etwas bedrückt.«
    Chutsky, der an seinem kubanischen Steak herumsäbelte, schnaubte. »Ohne Scheiß«, meinte er. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber die Gabel, die in seiner linken Handprothese klemmte, glitt zur Seite. »Gottverdammt«, fluchte er, und mir wurde bewusst, dass sie wesentlich mehr gemeinsam hatten, als ich angenommen hatte. Deborah beugte sich hinüber und half ihm, die Gabel geradezurücken. »Danke«, sagte er und schob sich ein großes Stück von dem

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