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Komm zurück, mein dunkler Bruder

Komm zurück, mein dunkler Bruder

Titel: Komm zurück, mein dunkler Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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herausgefunden, warum sie sich auf diese Art sammeln, aber sie tun es unweigerlich.
    Mittlerweile hockte Deborah neben Angel auf dem Boden, dessen Kopf im ersten Brennofen steckte. Das konnte dauern.
    Ich hatte gerade das letzte Stück Sandwich in den Mund geschoben, als ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde. Natürlich
sah
man mich, das ging jedem auf der geschäftlichen Seite des gelben Absperrbandes so. Doch außerdem wurde ich
beobachtet
– der Dunkle Passagier tobte, ich sei von etwas mit einem ungesunden Interesse an meinem wunderbaren Ich ausgewählt worden, und das Gefühl behagte mir ganz und gar nicht. Als ich den Rest Sandwich herunterschluckte und mich umdrehte, um mich zu vergewissern, zischte das Wispern in mir etwas wirr Klingendes … und verfiel dann in Schweigen.
    Und als es das tat, spürte ich wieder eine Woge panischer Übelkeit und die leuchtend gelbe, stechende Blindheit, und ich geriet ins Stolpern, all meine Sinne kreischten Gefahr, aber meine Fähigkeit zu handeln war mir abhanden gekommen. Es dauerte nur eine Sekunde. Ich kämpfte mich zurück an die Oberfläche und suchte meine Umgebung mit scharfem Blick ab – nichts hatte sich verändert. Eine Handvoll Menschen stand und schaute, die Sonne strahlte, und eine sanfte Brise strich durch die Bäume. Ein weiterer perfekter Tag in Miami, doch irgendwo im Paradies hatte die Schlange ihren Kopf gehoben. Ich schloss die Augen und lauschte intensiv, hoffte auf einen Hinweis auf die Natur der Bedrohung, doch hörte ich nichts außer dem Echo klauenbewehrter Füße, die davonkrabbelten.
    Ich öffnete die Augen und sah mich erneut um. Eine Gruppe von vielleicht fünfzehn Personen gab vor, nicht von der Hoffnung auf den Anblick von etwas Unheimlichem fasziniert zu sein, aber keine von ihnen stach irgendwie hervor. Niemand lauerte oder starrte bösartig oder versuchte, eine Bazooka unter dem Hemd zu verbergen. In normalen Zeiten hätte ich erwartet, dass mein Passagier einen dunklen Schatten um ein offensichtliches Raubtier wahrnahm, doch diese Unterstützung fehlte mir jetzt. Soweit ich sehen konnte, lauerte in der Menge nichts Abartiges. Doch was hatte den Feueralarm des Passagiers ausgelöst? Ich wusste so wenig darüber; er war einfach da, eine Präsenz voll bösartigen Vergnügens und scharfer Vorschläge. Bevor er die beiden Leichen am See gesehen hatte, hatte er niemals Verwirrung gezeigt. Und nun wiederholte sich seine vage Ungewissheit, nur eine halbe Meile von der ersten Stelle entfernt.
    War etwas im Wasser? Oder existierte hier bei den Brennöfen eine Verbindung zu den beiden verbrannten Leichen?
    Ich schlenderte zu der Stelle, an der Deborah und Angel-keine-Verwandtschaft arbeiteten. Sie schienen nichts Alarmierendes zu entdecken, und es strudelten auch keine Panikwellen aus den Brennöfen zu dem Ort, an dem der Dunkle Passagier sich verbarg.
    Wenn dieser zweite Rückzug nicht von etwas außerhalb meiner Person verursacht worden war, was hatte ihn dann ausgelöst? Was, wenn es sich um eine sonderbare Art innerer Erosion handelte? Vielleicht überwältigte mein bevorstehendes Ehemann- und Stiefvaterdasein den Dunklen Passagier. Wurde ich allmählich zu nett, um einen ordentlichen Wirt abzugeben? Das wäre ein Schicksal schlimmer als eines anderen Tod.
    Mir wurde bewusst, dass ich direkt vor einem gelben Absperrband stand und eine große Gestalt vor mir aufragte.
    »Äh, hallo?«, sagte er. Er war ein großes, muskulöses, junges Exemplar mit langen strähnigen Haaren und dem Aussehen von jemandem, der an Atmung durch den Mund glaubt.
    »Wie kann ich Ihnen helfen, Bürger?«, fragte ich.
    »Sind Sie, äh, Sie wissen schon«, stammelte er, »irgendwie ein Bulle?«
    »Irgendwie ein bisschen«, sagte ich.
    Er nickte und dachte einen Moment darüber nach, während er sich umsah, als glaubte er, hinter sich etwas zu finden, das er essen konnte. Auf seinem Nacken saß eine dieser unseligen Tätowierungen, die in letzter Zeit so populär geworden waren, irgendwelche orientalischen Buchstaben. Vermutlich standen sie für »lernschwach«. Er rieb seine Tätowierung, als könne er hören, wie ich darüber nachsann, dann drehte er sich zu mir um und platzte heraus: »Ich mache mir Sorgen um Jessica.«
    »Selbstverständlich tun Sie das«, sagte ich. »Wer würde das nicht?«
    »Weiß man schon, ob sie es ist?«, fragte er. »Ich bin irgendwie ihr Freund.«
    Jetzt hatte der junge Mann erfolgreich meine professionelle Aufmerksamkeit gewonnen. »Ist

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