Kommissar Joakim Hill - 01 - Die zärtliche Zeugin
schweigen davon, dass es sich unerwartet gezeigt habe, dass die Schweden unter der Oberfläche eine zutiefst unehrliche Ader hätten. Und das, obwohl sie sich so viel auf ihr Rechtsgefühl zugute hielten!
Unter so schlechten Voraussetzungen ginge es einfach nicht, gute Arbeit zu leisten, lautete seine Verteidigung, und im Namen der Gerechtigkeit fände er, dass man Verständnis für seine schwere Situation aufbringen solle.
»Alexej Igorin«, antwortete Ilja Danowitch mit seiner seltsam gefühllosen Bassstimme, »es gibt keine Gerechtigkeit, und das solltest du am besten wissen. Es gibt nur Erfolg oder Misserfolg.«
Alexej Igorin schwieg lange. Dann steckte er eine letzte Hand voll gewürzter Erdnüsse in den Mund und bat um sein Urteil.
»Was geschieht jetzt, Ilja Danowitch?«
»Komm heim, Alexej Igorin.«
»Komm heim?«
»Da.«
Er durfte also endlich nach Hause, nach Hause in sein geliebtes Land, in dem Milch und Honig floss und es richtige Männer gab. Und von welcher Seite er die Sache auch betrachtete, war die Antwort immer dieselbe. Er musste nach Hause fahren, aber nicht so, wie er gehofft hatte.
Es war nämlich vollkommen undenkbar, dass er sich der schwedischen Polizei stellte, darin waren die Regeln eindeutig. Es gab keine Haftanstalt, keine Zelle, keine Schutzeinrichtung, die vor der Schadensregulierung der Organisation sicher war.
Sie würden ihn finden, wo auch immer er war. Das wusste er.
Und wenn er jetzt nach Russland ohne den Gewinn, den die Organisation von seinem Einsatz in Schweden erwartet hatte, zurückkehrte, dann war das Einzige, worauf er hoffen durfte, ein Kiefernholzgewand zwei Meter tief unter der Erde.
Der kalte Schweiß lief ihm runter.
»Aber … aber …«
»Wir erwarten dich in zwei Tagen. Do swidanija!«
»Aber … aber …«
Klick.
Ilja Danowitch hatte das Gespräch bereits beendet, ehe er für seinen Protest noch Gehör gefunden hatte. Alexej Vladimir Igorin starrte auf den stummen Hörer, den er in seiner zitternden Hand hielt.
Es war einfach nicht gerecht!
Elin Starbeck hingegen hatte großes Glück gehabt.
Eva Steiningers lebenslanger Hass auf sie hatte ihr ironischerweise in letzter Sekunde das Leben gerettet. Im Halbschlaf lag sie jetzt in ihren weißen, gestärkten Laken im Krankenhaus von Jönköping und sah ihr Leben wie in Filmsequenzen vor ihrem inneren Auge vorbeiflimmern.
Was für seltsame Wendungen ein Leben nehmen konnte – nur um einen dann doch wieder zu betrügen!
Vielleicht sollte sie Eva als Dank ein paar Blumen schicken? Vielleicht sollte sie sie irgendwann zum Mittagessen einladen und sich mit ihr unterhalten?
Nein, nein, das wäre absurd!
Nicht nach all diesen bitteren Jahren.
Außerdem hatte Eva sie bei der Polizei verpfiffen, Wohlwollen war da nicht im Spiel gewesen, auch wenn es ihr dann durch eine absonderliche Laune des Schicksals das Leben gerettet hatte.
Kommissar Hill rief Dr. Elgh etwas später an diesem Samstag an und erreichte sie endlich. Es war bereits Spätnachmittag, aber sie war immer noch auf der Notaufnahme. Sie trank gerade eine Tasse Kaffee im Personalzimmer, und er konnte sich vorstellen, wie nötig sie sie hatte.
»Wie wäre es mit dieser neuen Chance, von der wir gesprochen haben?«, wollte er wissen und erinnerte sie an das Versprechen, das sie ihm etwas zögernd gegeben hatte.
Catharina sah in diesem Augenblick das Leben von seiner besten Seite.
Gerade hatte sie eine kleine Vierjährige mit ihren Eltern mit einem Rezept für ein schmerzstillendes Mittel zur Apotheke geschickt. Denn der Oberschenkel des Mädchens würde wehtun, wenn die Betäubung erst einmal nachließ. Catharina hatte ihr eine stark blutende Wunde genäht, die sie sich zugezogen hatte, als sie sich in eine Schere gesetzt hatte, die jemand vergessen hatte.
Catharina hatte das Mädchen beruhigt und die Eltern getröstet. Sie hatte versichert, dass alles wieder gut werden würde. Ein Unglück könne immer mal passieren, aber dieses würde zweifellos gut ausgehen.
Eine beruhigte und glückliche kleine Familie hatte da also gerade ihr Untersuchungszimmer verlassen.
Und das hatte sie nachdenklich gemacht.
Wie wäre das wohl, selbst eine Familie zu haben?
Jemanden zu haben, zu dem man nach der Arbeit nach Hause gehen kann, und jemanden, zu dem man gehört, was auch passiert. Sie fragte sich plötzlich, wie das beispielsweise sein würde, ein eigenes Kind zu haben?
Und in genau diesem Augenblick rief dieser Kommissar Hill
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