Kommissar Joakim Hill - 02 - Die Frau im Schatten
viele Leute, die sich an diesem nasskalten Abend hier in dem verschlafenen kleinen Vorort von Helsingborg auf der Straße aufhielten, aber irgendjemand hätte doch immerhin auf sie aufmerksam werden müssen, falls sie wider Erwarten die geringste Chance gehabt hätte, nach Hilfe zu rufen. Sollte man zumindest meinen.
Warum man den Vorfall überhaupt bemerkt hatte, lag einzig daran, dass ein Bewohner von Råå während des Abendspaziergangs mit seinem Hund dankenswerterweise auf sie aufmerksam geworden war, weil sie so verwundert zum funkelnden Sternenhimmel emporgeblickt hatte.
Seine Aussage war furchtbar umständlich formuliert.
Er hat sie wiedererkannt, sagte er, obwohl sie noch nicht besonders lange in Råå wohnte. Manchmal hatte er sie im Laden gesehen. Sie war sehr jung – sicher nicht älter als fünfundzwanzig oder achtundzwanzig Jahre –, aber dennoch eine flotte junge Dame.
Auf so etwas achtete man eben.
Und träumen dürfte man doch wohl!
Sie hatte angeblich ein kleines Reihenhaus, glaubte er zu wissen, nicht weit von dort, wo das Auto jetzt am Bürgersteig geparkt war. Ein Reihenhaus, in das sie ziemlich genau vor einem Jahr eingezogen war.
Erst ging er einfach an dem Auto vorbei. Trottete den Bürgersteig entlang, ohne den glänzend gewachsten, mitternachtsblauen Mitsubishi näher zu beachten. Der Hund musste ja wohl oder übel sein Geschäft machen!
Erst auf dem Rückweg mit seinem Hund, da schwante ihm nichts Gutes.
Denn da saß sie noch immer, die hübsche, elegante junge Frau, die er meinte, schon einmal im Supermarkt gesehen zu haben. Hatte sich seit Minuten nicht bewegt. Nicht einmal mit der Wimper gezuckt, seitdem sie vorbeigegangen waren …
So, als ob sie da saß und direkt ins Paradies schaute.
Und eine andere Sache, die ihn stutzig machte, war, dass der Hund plötzlich den Schwanz einzog. Der alte schwarze Labradorrüde zog unruhig an der Leine und winselte, als würde er Prügel bekommen.
Da kapierte der Mann endlich.
Trotz seines hohen Alters lief er den ganzen Weg zum örtlichen Polizeirevier Söder am Landskronavägen.
Tja, was sollte man machen? Er besaß kein neumodisches Mobiltelefon – er war ja immerhin nur ein gewöhnlicher Frührentner!
Und dann rannte er, bis das Herz kaum noch mitmachte, um völlig außer Atem an der geschlossenen und verrammelten Wache anzukommen.
In diesen schnöden Sparzeiten konnte man sich nur minimale Öffnungszeiten von zehn bis dreizehn Uhr leisten und hoffen, dass sich alle Verbrecher danach richteten. Doch wie aus einer Laune des Schicksals heraus, hatte die Belegschaft des Reviers die restlichen Stunden des Tages auf eine interne Fortbildung im eigens vorhandenen Konferenzraum verwandt. Die Polizeibediensteten waren gerade dabei, die Mühsal des arbeitsreichen Tages zusammenzufassen, als der erschrockene und völlig erschöpfte Alte fordernd gegen Türen und Fenster hämmerte.
Die Hartnäckigkeit seiner Bemühungen führte schließlich dazu, dass einer der Polizisten die Glastür einen Spalt breit öffnete, um zu hören, worum es ging. Sobald er den Ernst der Lage erfasst hatte, leitete er den Alarm zu Mandén ins Polizeipräsidium weiter.
Und jetzt waren Hill und Gårdeman vor Ort.
Der Bereich um die kleine Steinbrücke am Lussebäcken, wo das Auto stand, war bereits abgesperrt und der Verkehr auf eine südlichere Route umgeleitet. Die Mannschaft hier draußen hatte zügig gearbeitet, und dennoch bildete sich außerhalb des blauweißen Absperrbandes rasch eine Menschenmenge, die so weit wie möglich nach vorne drängte, um einen Blick auf das, was sich in einiger Entfernung bei dem Auto abspielte, zu erhaschen.
Die Menschen fühlten sich angezogen, obwohl das Ganze etwas kolossal Abstoßendes an sich hatte.
Spannend und unheimlich zugleich, bot sich ihnen ein Schauspiel sondergleichen, und das auch noch in unmittelbarer Nachbarschaft. Hier ging etwas vor sich, dass das Fernsehen nicht bieten konnte.
Ein waschechtes, reales Abenteuer!
Hill dachte, dass sie sehr schön war.
Gårdeman dachte genau dasselbe.
Trotz einer unnatürlichen Verzerrtheit – das Signum des plötzlichen Schmerzes und des Todes – muss sie mit ihren unglaublich hübschen und reinen Zügen zweifellos sehr anziehend gewesen sein.
Das wohlgeformte Gesicht mit der geraden Nase und den sinnlichen Lippen war von fülligem, blondem Haar eingerahmt. Nicht, dass es ihren Tod mehr oder minder tragisch gemacht hätte, doch es war eine Tatsache. Die junge Dame
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