Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet
Haus mit erhellten Fenstern sah. Auf einem farbigen, von bunten Glühbirnen umrahmten Schild las sie die Worte: „Venus Bar“. Darunter stand: Tänze und Pariser Attraktionen am laufenden Band. Hier amüsiert sich jeder. Sie werden begeistert sein.“
Miriam Davis trat zögernd näher. Aus der offenen Tür schlug ihr rauchige Wärme entgegen. Ein verlockender Duft nach gebratenen Steaks stieg ihr verführerisch in die Nase. Sie nahm sich ein Herz und trat hastig in den schummerigen Vorraum ein. Auf den ersten Blick sah sie, daß es eine ziemlich verwahrloste Spelunke war, in die sie da geraten war. Sie hörte lautes Grölen und brüllendes Gelächter aus der Bar herüberhallen. Anscheinend war hier der traurigste Abschaum des ganzen Ostens versammelt. Aber was besagte das schon? In ihrer Lage konnte sie nicht hochmütig sein. Sie mußte sich glücklich schätzen, wenn man sie nicht von der Schwelle jagte.
Scheu schlich sie in den rückwärtigen Korridor hinein. An der Küchentür blieb sie stehen. Schüchtern blickte sie auf die vollbusige Köchin, die an dem riesigen Herd herumhantierte.
„Was gibts, Fräulein?“ fragte sie gutmütig.
„Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie irgendeine Arbeit für mich haben“, stammelte Miriam Davis. „Ich scheue vor keiner Schmutzarbeit zurück. Wenn Sie jemand zum Scheuern oder zum Spülen brauchen, so will ich gern . . . “
„Moment“, sagte die Dicke gedehnt und rieb sich die Hände an ihrer Schürze trocken. „Ich werde mal den Chef rufen. Vielleicht hat er eine Beschäftigung für Sie.“ Drei, vier Minuten mußte Miriam Davis warten. Dann stand ihr plötzlich ein unsympathischer Mann mit weißem Pickelgesicht und hervorquellenden Augen gegenüber. Das Häßliche an ihm war der dünne, rote Bart, der um das fleischige Kinn wucherte.
„Ich bin Luke Macholl“, quakte er. „Mir gehört dieser Laden hier. Sie wollen Kartoffeln schälen, hörte ich?“ Miriam Davis wich langsam zurück. Ihr Abscheu vor dem ungepflegten Kerl wuchs von Sekunde zu Sekunde. Am liebsten wäre sie auf der Stelle weggerannt.
„Was können Sie denn?“ fragte Luke Macholl mit einem schmierigen Seitenblick. „Sind Sie eine perfekte Köchin? Oder wollen Sie als Schönheitstänzerin auftreten ?“
Miriam Davis wurde rot vor Verlegenheit.
„Ich habe als Bedienung gelernt“, sagte sie tonlos. „Ich war schon in verschiedenen Bars und verstehe mein Fach. Sie können mich ruhig prüfen, wenn Sie wollen.“ „Warum sagen Sie das denn nicht gleich ?“ brummelte Luke Macholl. „Ich kann tatsächlich ein Serviermädchen gut gebrauchen. Kommen Sie mit!“
Er führte sie an ein Büfett und drückte ihr sechs, sieben Tabletts in die Hände. Grinsend beobachtete er, wie sie sich dabei anstellte. Er fand nichts an ihr auszusetzen.
„All right“, murmelte er schließlich.„Sie sind engagiert, Baby! Wollen Sie hier im Hause schlafen?“
Ein paar Herzschläge lang zauderte Miriam Davis unschlüssig. Dann gab sie sich einen energischen Ruck.
„Ja“, sagte sie mit einem tiefen Atemzug. „Ja, ich will hier bleiben. Zeigen Sie mir bitte mein Zimmer.“
Es war nur eine elende Kammer im Dachgeschoß, die man ihr zur Verfügung stellte. Aber Miriam Davis war nicht verwöhnt. Sie brauchte nur an die Erziehungsanstalt Trontham zurückzudenken, um sich auch in dem armseligsten Loch glücklich und geborgen zu fühlen.
Sie riegelte die Tür ab und begann sich müde auszukleiden. Hätte sie allerdings gewußt, was sie in diesem Haus erwarten sollte, so wäre sie vermutlich freiwillig nach Trontham zurückgegangen.
3
Pünktlich um acht Uhr ging Inspektor Mervan am nächsten Morgen durch die langen Korridore des Sonderdezernats. Vor dem Chefzimmer seines Vorgesetzten blieb er stehen. Statt des üblichen Metallschildes hing an der Tür eine schmale, elegante Visitenkarte. „G. E. Morry, Kriminalkommissar“, stand darauf zu lesen. Das Ganze sah eigentlich recht harmlos aus. Und doch übte dieser schlichte Name eine ungeahnte Wirkung auf die gesamte Unterwelt Londons aus. Insepktor Mervan klopfte und trat kurz darauf in das Zimmer. Der junge Kommissar saß am Schreibtisch und blätterte flüchtig eine mausgraue Akte durch. Sein dunkelgebräuntes Gesicht wirkte wie immer heiter und gelassen. Mit sympathischem Lächeln blickte er seinem Inspektor entgegen.
„Was Neues, Mervan?“
„Und ob, Sir“, schnaufte der hagere Mann atemlos. „Ich war fast die ganze Nacht auf den Beinen. Wir fanden
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