Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet
grausam.
„Kann ich hier telefonieren?“ fragte er ein zweites Mal.
„Bitte“, sagte die Bedienung wortkarg. „Der Apparat befindet sich draußen auf dem Flur. Sie brauchen nur zwei Münzen einzuwerfen. “
Antony Fingal bezahlte seine kleine Zeche und ging dann mit raschen Schritten in den Korridor hinaus. Zwei drei Minuten lang stand er regungslos vor dem Apparat. Dann endlich hob er den Hörer ab. Vorsichtig dämpfte er die Stimme zu einem heiseren Flüstern.
„Bist du selbst am Apparat, old friend?“ murmelte er leise.
„Hm. In Ordnung. Wir haben vorerst nichts zu befürchten. Die Sache hat sich für uns gut entwickelt.“ „Und das Mädchen?“ klang es fragend aus der Leitung. „Was ist aus dem Mädchen geworden? Hat sie die Polizei... ?“
„No, sie kam nicht mehr dazu“, brummte Antony Fingal gleichgültig. „Sie sprang von der Brücke in den Row Creek hinunter. Wie mir meine Leute meldeten, starb sie in der Revierbaracke der Strompolizei.“
„Und die andere?“ klang es leise zurück. „Sie war doch nicht allein. Sie ist doch mit einer Freundin aus Trontham weggelaufen.“
„Die andere haben wir bereits aufgestöbert“, sagte Antony Fingal nicht ohne Stolz. „Ich habe meine Spitzel überall sitzen. Sie arbeiten rascher und zuverlässiger als die Polizei. Das Mädchen arbeitet in einer Bar am Madras Viadukt in Limehouse.“
„In der Venus-Bar, wie?“ Der Laden gehört doch Luke Macholl.“
„Na eben“, sagte Antony Fingal trocken. „Da hat sie sich den verkehrtesten Platz ausgesucht. Luke Macholl steht auf unserer Seite. Er wird keine Schwierigkeiten machen.“
„Eh, was willst du tun?“
„Mal sehen. Kommt ganz darauf an, wie sich die Kleine anstellt. Ich will eben mal zu ihr gehen.“
„Hals und Beinbruch. Und ruf wieder an. So lang!“ Antony Fingal hängte den Hörer ein und verließ gleich darauf die Espresso-Bar. Auf der Straße parkte sein Wagen, der genau so häßlich war wie er selbst.
Antony Fingal setzte sich hinter das Steuer und fuhr in das Viertel Limehouse hinüber. Es war nur ein Katzensprung. Am Madras Viaduct stellte er sein trauriges Fahrzeug ab und ging zu dem schmalen Haus mit der verrußten Fassade hinüber. Durch die Scheiben drang schrilles Getöse. Anscheinend lagen sich wieder einmal ein paar betrunkene Frauenzimmer in den Haaren. Eifersuchtsszenen und Raufereien waren in der Venus Bar keine Seltenheit. Antony Fingal trat grinsend in die Bar ein und bahnte sich mit derben Stößen einen Weg zur Theke. Amüsiert betrachtete er das Gebalge an den vollbesetzten Tischen.
„He, warum schaffst du da keine Ordnung?“ rief er Luke Macholl zu. „Hier geht es ja zu wie in einem Tollhaus.“
Ein paar Gläser schwirrten durch die Luft und zer- klirrten schrill an der Bartheke. Dann kamen Aschenbecher und Flaschen angesegelt. Sie zerplatzten wie Schrapnells über den Köpfen der kreischenden Gäste.
Luke Macholl wieherte vor Vergnügen. „So ist es richtig“, lärmte er. „Sie werden vor Aufregung mächtigen Durst bekommen. Das Geschäft geht besser als je, lieber Freund!“
„Hm“, knurrte Antony Fingal wortkarg. „Ich sehe es. Hast du irgendwo noch ein bescheidenes Plätzchen für mich ?“
Luke Macholl, der Mann mit dem weißen Pickelgesicht und dem häßlichen Rotbart, führte ihn an einen kleinen Wandtisch, der sonst den Bedienungen als Ruheplätzchen Vorbehalten war.
„Kommst du privat? Oder geschäftlich?“
„Wie man es nimmt“, murmelte Antony Fingal. „Du hast doch ein neues Barmädchen beschäftigt. Eine gewisse Miriam Davis, wie? Schick sie mal für ein Viertelstündchen an meinen Tisch!“
„Was willst du von ihr ?“
„Nichts Besonderes. Na, dann geh schon.“
Es dauerte genau zwei Minuten, bis Miriam Davis erschien. Das schwarze Kleid und die zierliche Servierschürze, die sie trug, brachte ihre schlanke Gestalt vorteilhaft zur Geltung. Die dunklen Augen blickten forschend nud argwöhnisch auf den häßlichen Gast. Über ihrem blassen Gesicht lagen dunkle Schatten.
„Wer sind Sie?“ fragte sie zaghaft.
„Ich bin Antony Fingal. Sicher haben Sie den Namen schon gehört. Ihre Freundin wird öfter von mir gesprochen haben, nicht wahr?“
Miriam Davis mußte sich setzen, so schwach wurden ihr plötzlich die Knie. Ihr Gesicht verlor alle Farbe. Die dunklen Augen weiteten sich vor Schreck und Furcht.
„Sie haben Dora Gibbon in den Tod getrieben“, würgte sie gequält hervor. „Sie sind ganz allein schuld an ihrem
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