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Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Titel: Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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ein Mädchen an der Brücke beim Row Creek, ein Mädchen, das sich auf das Fundament des mittleren Pfeilers gestürzt hatte. Sie hieß Dora Gibbon. Müßte mich verdammt täuschen, Sir, wenn ihr trauriges Ende nicht einen ganzen Rattenschwanz von Verbrechen nach sich ziehen würde. Sie hat nämlich häufig im Orchideen-Klub am Ruskin Wall verkehrt . Sie war die Freundin Antony Fingals, mit dem sie sich später tödlich verfeindete . . . “
    „Ich weiß“, lächelte Kommissar Morry. „Ich weiß bereits Bescheid.“
    Inspektor Mervan ließ sich seufzend in dem Besuchersessel nieder. „Ich bin hier völlig überflüssig“, lamentierte er. „Sie wissen immer alles früher als ich. Können Sie mir vielleicht auch sagen, woher das Mädchen stammte ?“
    „Ja, das kann ich“, grinste Morry gutgelaunt. „Ich habe nämlich eben das Fahndungsblatt der Erziehungsanstalt Trontham in die Hände bekommen. Die Oberin, Mrs. Silling, meldet das Verschwinden zweier Insassen. Dora Gibbon und Miriam Davis heißen die beiden Mädchen, die sich da so heimlich aus dem Staub machten.“
    „Mein Gott“, stöhnte Inspektor Mervan entgeistert. „Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, Sir! Deshalb ist die Kleine in der Imbißstube so plötzlich vor uns ausgerissen. Weiß der Teufel, wo sie sich jetzt herumtreibt. Wir haben sie völlig aus den Augen verloren.“
    „Dann suchen Sie sie doch.“
    „Ich, Sir?“
    „Natürlich Sie! Wer denn sonst? Sie werden den Fall dieser Dora Gibbon vorläufig allein übernehmen müssen. Ich bin momentan mit anderen Dingen beschäftigt. Wünsche Ihnen viel Glück, mein Lieber! Sehen Sie zu, daß Sie diesem Antony Fingal einen Strick drehen können.“
    Wieder schickte Inspektor Mervan einen langen Seufzer zur Decke empor.
    „Eine dankbare Aufgabe, Sir, die Sie mir da zugedacht haben. In das Haus am Ruskin Wall kommt man nur sehr schwer hinein. Was ist denn das überhaupt für ein Klub, der dort sein heimliches Wesen treibt?“
    Kommissar Morry wurde ernst.
    „Dieser Verein hat es mir schon seit langem angetan“, murmelte er grübelnd. „Ich bin auch noch nicht in dem düsteren Haus in Poplar gewesen. Aber man hört allerhand darüber munkeln. Demnach sollen es meist junge Leute aus reichen Häusern sein, die sich dort zusammenfinden.“
    „Haben Sie Frauen bei sich?“ fragte Inspektor Mervan neugierig.
    „Hm. Das ist das Seltsame“, brummte Morry. „Fast alle Klubs in London sind ausgesprochene Herrengesellschaften. Nur dieser Orchideen-Klub macht darin eine Ausnahme. Diese Burschen laden sich blutjunge Dinger ein und feiern mit ihnen hinter verschlossnen Türen rauschende Feste.“
    „Warum verbietet man dann diesen Klub nicht?“ entrüstete sich Inspektor Mervan. „Wie kann man dieses unmoralische Treiben dulden?“
    Kommissar Morry lächele sanftmütig. „Es geschieht mehr Unrecht auf dieser Welt, als Sie glauben, mein Lieber. Wenn Sie den Klub verbieten, kommen die Leutchen anderswo zusammen. Übrigens wollen wir unseren Kollegen nicht ins Handwerk pfuschen. Die Schließung anrüchiger Klubs ist Sache des VI. Dezernats.“
    Inspektor Mervan räusperte sich ein paar Minuten lang und stand zögernd auf.
    „Ich werde mir heute Abend einmal das Haus am Ruskin Wall vornehmen“, versprach er unsicher. „Dabei werde ich diesem Mr. Fingal ein wenig auf die Finger schauen.“
    „Vergessen Sie das Mädchen nicht“, brummte Kommissar Morry kurz. „Geben Sie eine Suchanzeige auf. Wenn Sie die Kleine schnappen, lassen Sie sie nach Trontham zurückschaffen. Sie hat noch vier Wochen abzusitzen.“
    „Eigentlich schade um sie“, seufzte Inspektor Mervan. „Ich fand das Mädchen sehr sympathisch.“
    Er schielte zum Schreibtisch hin und wartete auf eine Antwort. Aber Kommissar Morry sagte kein Wort mehr. Er hatte sich bereits wieder in seine Akte vertieft und seinen Besucher anscheinend völlig vergessen.

    4

    Abends um zehn Uhr betrat Antony Fingal eine Espresso-Stube in Limehouse und bestellte sich einen Mokka mit Schuß. Während er das heiße Getränk in hastigen Zügen schlürfte, irrten seine Blicke unstet und lauernd durch das mäßig besetzte Lokal.
    „Kann ich telefonieren“, fragte er die Kellnerin.
    Die junge Bedienung starrte ihn verwundert an. Sie hatte selten einen so häßlichen Menschen gesehen. Das knochige Gesicht mit der spiegelnden Glatze und der dunklen Hornbrille glich einem Totenschädel. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Sie wirkten kalt und

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