Kommissar Morry - Der Tod war schneller
sah einen unruhigen Lichtschein hinter den Vorhängen. Da wußte er, daß Jebb Mackolin bereits mit den beiden Leuten verhandelte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er zurückkehrte. In ein paar Minuten war sicher alles vorüber.
Dann aber gab es plötzlich eine Panne. Ein Mann löste sich aus dem Dunkel der gegenüberliegenden Häuserfront, überquerte die Fahrbahn und kam direkt auf die Mietskaserne zu. Seine Schritte klapperten bereits auf dem Gehsteig. Zwei Sekunden später stand er unmittelbar vor dem Eingang. Jetzt endlich löste sich Lucas Turbin ruckartig von der Mauerwand. Er vertrat dem ändern den Weg.
„Eh, wohin wollen Sie?" fragte er heiser.
Der Fremde deutete auf die erleuchteten Fenster im Erdgeschoß. Er sprach kein Wort dabei. Er blieb schweigsam wie ein Gespenst. Lucas Turbin handelte blitzschnell und überlegte. Er drückte auf den untersten Glockenknopf. Er läutete. Dann wandte er sich wieder dem Fremden zu.
„Warten Sie einen Moment", murmelte er. „Ich erkläre Ihnen nachher, warum. Bleiben Sie hier an meiner Seite!"
Er glaubte, der andere würde gehorchen. Es sah auch ganz so aus. Der Fremde stand sekundenlang still und regungslos vor ihm. Ein seltsames Schweigen herrschte zwischen den beiden Männern. Es war das Schweigen des Todes. Die lähmende Stille, die einer entsetzlichen Katastrophe vorauszugehen pflegt. Lucas Turbin wußte überhaupt nicht, wie ihm geschah. Er spürte eine glühende Flamme im Gesicht. Ein rötlicher Blitz stach in seine Augen. Eine mörderische Kugel drang in seine linke Schläfe ein. Was ist denn, dachte Lucas Turbin noch mit leeren Gedanken. Was ist denn geschehen? Ich habe doch...
Da kam auch schon das Ende. Er sah nichts mehr. Er wußte nicht, wohin er fiel. Schwer schlug sein Körper auf dem Pflaster auf. Dort blieb er liegen und krümmte sich zusammen.
*
Als der Schuß gefallen war, stand Jebb Mackolin noch für ein paar Herzschläge lang wie gelähmt im Schlafzimmer der beiden Alten. Er wollte flüchten, er wollte in panischer Hast aus der Wohnung stürzen, aber seine Glieder versagten den Dienst. Er vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren. Erst als Elliot Henley aus dem Bett sprang, das Fenster aufriß und laut um Hilfe schrie, kam Jebb Mackolin wieder zu sich. Es war höchste Zeit für ihn. Jede Sekunde, die er jetzt noch verlor, mußte ihn in größte Gefahr bringen. Er drehte sich blitzschnell um. Er hastete auf den Korridor hinaus. Knallend warf er die Tür hinter sich zu. Im Hausflur war es inzwischen unruhig geworden. Zwei Türen standen offen. Man hörte aufgeregte Stimmen aus den Wohnungen dringen. Jebb Mackolin verlor jetzt keine Zeit mehr. Er achtete nicht auf das, was hinter ihm geschah. Er hetzte auf die Haustür zu. Er hatte sie kaum aufgerissen, da sah er Lucas Turbin auch schon auf dem Gehsteig liegen. Bis jetzt war niemand in seiner Nähe. Er lag allein und verlassen auf dem Pflaster. Aber es würde keine Minute mehr dauern, dann war hier die Hölle los. Entsetzt tappte Jebb Mackolin an das armselige Menschenbündel heran. Er wußte sofort, was die Uhr geschlagen hatte. Ein Blinder konnte sehen, daß Lucas Turbin nicht mehr zu helfen war. Er lag mit ausgebreiteten Armen auf den harten Steinplatten. Über sein weißes Gesicht liefen dunkle Blutspuren. Was jetzt, dachte Jebb Mackolin in fassungslosem Schrecken. Ich kann ihn doch hier nicht liegen lassen. Ich muß ihn wegschaffen. Irgendwohin, wo man ihn nicht so rasch findet. In eine Ruine vielleicht. Oder in einen Kanalschacht . . .
Er bückte sich nieder, um Lucas Turbin aufzuheben und wegzuzerren. Aber noch in der gleichen Sekunde ließ er ihn wieder fallen. Er hörte Stimmen in nächster Nähe. Er vernahm den Trillerpfiff einer Streife. Er sah Leute aus dem Haus kommen, das er eben selbst verlassen hatte. Was blieb ihm da anderes übrig, als schleunigst das Weite zu suchen. Er lief wie ein gehetztes Tier in das Dunkel der Nacht hinein. Erst als der Schauplatz des gräßlichen Geschehens weit hinter ihm lag, fiel er in einen langsameren Schritt.
9
Inspektor Flavius von der Mordkommission und Wachtmeister Potter trafen schon nach einer halben Stunde am Pavement in Clapham ein. Sie wurden von den Beamten der Mordkommission begleitet. Einige Konstabler vom nächsten Polizeirevier riegelten die Straße gegen Neugierige ab.
„Seltsame Gegend", murmelte der Polizeiarzt kopfschüttelnd, als er die Schußwunde des Toten untersucht hatte. Er hielt eine glänzende
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