Kommissar Morry - Der Tod war schneller
ich sehe."
Er horchte atemlos in das Dunkel. Hatten seine Worte glaubwürdig geklungen? Fiel der andere darauf herein? Oder drückte er eben den Abzug einer Pistole durch? Lag seine Hand bereits am Bügel der Waffe?
„Bleiben Sie fünf Minuten hier", erklang es plötzlich aus der Finsternis. „Wenn Sie das Haus eher verlassen, sind Sie ein toter Mann. Haben Sie mich verstanden?"
„Ja", ächzte Jebb Mackolin mit keuchendem Atem. „Ich richte mich nach Ihrem Befehl."
Seine Gedanken irrten gehetzt um den Fremden. Er will einen Vorsprung gewinnen, dachte er blitzschnell. Er will sich heimlich davonstehlen. Ich soll ihn auf keinen Fall erkennen. Das ist das ganze Geheimnis. Er hörte irgendwo eine Tür gehen. Der Unbekannte hatte die Wohnung verlassen. Die größte Gefahr war vorüber.
Deshalb schaltete Jebb Mackolin auch sofort seine Lampe ein. Er hielt es einfach nicht länger aus in der Finsternis. Flackernd fiel der Lichtschein auf das wächserne Gesicht des Toten. Es war ein gespenstischer Anblick. Jebb Mackolin wich unwillkürlich ein Stück zur Seite. Er wußte jetzt schon, daß diese fünf Minuten zu einer unbeschreiblichen Folter für ihn werden würden. Er ging langsam auf den Tisch zu, der dicht neben der Tür stand. Er sah einen Brief auf der polierten Platte liegen, der das Datum des heutigen Tages trug. Er war mit dem Namenszug Cedrick Globes unterschrieben.
„Lieber Fred", lauteten die Zeilen. „Ich muß das Geschäft leider aufgeben. Die Sparkasse hat mir nun doch keinen Kredit bewilligt. War ja auch fast vorauszusehen. Ich hatte keine Sicherheiten zu bieten. Eigentlich bin ich froh, wenn ich diesen verschuldeten Laden loswerde . . ."
Jebb Mackolin las nicht weiter. Er wußte genug. Das war die falsche Adresse, dachte er. Hätte er die Tasche im Besitz gehabt, so wäre dieser Brief anders ausgefallen.
Er sah auf die Uhr. Drei Minuten waren inzwischen verstrichen. Sie erschienen ihm wie eine Ewigkeit. Er trat nervös von einem Fuß auf den ändern. Die Nähe des Toten machte ihn verrückt. Er wagte nicht mehr, zu ihm hinzublicken. Leise ging er in den Korridor hinaus. Er löschte die Lampe und wanderte durch den dunklen Hausflur. Kurze Zeit später traf er auf Lucas Turbin, der gleichmütig an der Hausmauer lehnte und eine Zigarette rauchte.
„Verdammt!" knirschte Jebb Mackolin, „du stehst hier, als hätte sich nicht das geringste ereignet. Hast du nicht einen Mann aus dem Haus kommen sehen?"
„Welchen Mann?" fragte Lucas Turbin verständnislos.
„Einen Mörder."
Lucas Turbin riß entgeistert die Augen auf. „Du sprichst in Rätseln", stammelte er, „ich habe überhaupt niemand gesehen. Durch dieses Gittertor kam kein Mensch."
„Dann verstehe ich auch nichts mehr", brummte Jebb Mackolin niedergeschlagen. „Ich glaube, wir sind zu dämlich für dieses Geschäft."
7
Inspektor Flavius war ziemlich durcheinander, als er sich im Sonderdezernat bei Kommissar Morry melden ließ. Er konnte es kaum erwarten, bis er in das Dienstzimmer eingelassen wurde. Aufgeregt kam er an den Schreibtisch heran. Seufzend sank er in den Besuchersessel.
„Ein neuer Mord, Sir", schnarrte er hastig. „Ein neuer Mord in unmittelbarer Nähe Clark Dixons. Ich glaube, wir hätten den Mann doch festnehmen sollen. Auch diesmal fanden wir am Tatort eine Patrone vom Kaliber 9 mm. Auch sie ist anscheinend aus einer Dienstpistole verschossen worden. Der Prägestempel der Waffenfabrik war der gleiche."
Kommissar Morry blieb ruhig und gelassen hinter seinem Schreibtisch sitzen. Sein straffes, gebräuntes Gesicht zeigte keinerlei Aufregung. Die klugen Augen blickten freundlich auf den Inspektor. „Bitte der Reihe nach, Flavius", sagte er versonnen. „Wer wurde überhaupt ermordet?"
„Der Feinkosthändler Cedrick Globe, Sir! Seine Wohnung liegt am Pavement in Clapham. Mary Dixon, die wir in der vorigen Woche tot auffanden, pflegte in diesem Geschäft einzukaufen."
„Kommt Raubmord in Frage?"
„No, Sir! Der Mann war stark verschuldet. Es gab bei ihm nichts zu holen. Wir fanden auch keinerlei Spuren, die auf einen Raub hindeuteten."
„Sie glauben also, daß dieser neuerliche Mord mit dem Verbrechen an Mary Dixon zusammenhängt?"
„Ja, Sir! Das glaube ich", schnaufte Inspektor Flavius. „Ich bin sogar davon überzeugt. Nur über das Motiv bin ich mir noch nicht im klaren. Warum mußte Cedrick Globe sterben? War er Zeuge des Verbrechens an Mary Dixon? Hat er vielleicht den Täter gesehen? Oder wußte er
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