Kommissar Morry - Der Tod war schneller
machen."
Kommissar Morry bot ihr liebenswürdig einen Sessel an. Wachtmeister Potter baute sich stramm neben ihr auf. Wohlgefällig blickte er auf sie herunter.
„Ich heiße Olga Marat", sagte die junge Dame zum zweiten Mal. „Ich verkehre häufig im Cafe Vienna, weil es so günstig in meiner Nachbarschaft liegt. In diesem Lokal lernte ich vor einem Jahr Clark Dixon kennen..."
Morry beugte sich lauernd vor. Seine Blicke hafteten starr an dem Gesicht Olga Marats. Ungeduldig wartete er darauf, daß sie weitersprach. Sie ließ sich jedoch Zeit. Sie zündete sich erst eine Zigarette an.
„Das ist also vor einem Jahr gewesen", fuhr sie fort. „Ich behandelte Clark Dixon vielleicht besser, als er es verdient hätte. Er tat mir leid."
„Weiter!" raunte Morry atemlos.
„Er beschwor mich, seine Freundin zu werden. Er wollte mir ein Leben in Reichtum und Luxus bieten. Er lud mich auf eine gemeinsame Auslandsreise ein. Ich sollte ihn nach Schottland begleiten. Das war an jenem Tag, als der Überfall an der Ecke der Clayton Street auf ihn verübt worden war."
Olga Marat machte wieder eine kurze Pause und legte ihre Zigarette im Aschenbecher ab. Groß und unschuldig richteten sich ihre Augen auf den Kommissar.
„Damals wußte ich noch nicht, daß Clark Dixon selbst an dem Überfall beteiligt war. Er hat mir das erst vor seinem Tod gestanden. Das war vor vier Tagen. Er begleitete mich in meine Wohnung. Dort erzählte er mir alles. Er gab offen zu, daß er den verbrecherischen Überfall selbst ausgeheckt hatte. Er wollte in den Besitz der achtzigtausend Pfund kommen. Er hat es angeblich nur für mich getan."
„Donnerwetter!" schnaufte Wachtmeister Potter begeistert. „Auf eine solche Nachricht warten wir schon lange. Was sagen Sie dazu, Kommissar? Nun haben wir endlich den Beweis, daß Clark Dixon wirklich ein Schurke war. Jetzt kann ich mir auch alles andere erklären."
„So ist es nun", murmelte Morry geistesabwesend und trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. „Da genießt ein junges Paar in der ganzen Gegend einen tadellosen Ruf. Man hält beide für anständige Leute. Sie führen nach außen hin eine gute Ehe. Und dann stellt sich plötzlich heraus, daß sie einen Liebhaber besaß und er eine Freundin."
„Ich war nicht seine Freundin", protestierte Olga Marat. „Wenigstens nicht so, wie Sie meinen, Kommissar. Ich schenkte ihm keine Zärtlichkeiten. Er durfte auch nie bei mir über Nacht bleiben."
Morry machte sich ein paar Notizen. „Wissen Sie, was aus der Tasche geworden ist?" fragte er dann.
„No, Sir! Davon hat er nichts gesagt."
„Erzählte er Ihnen von seiner Frau?"
„Erst zuletzt, Sir. Vorher wußte ich gar nicht, daß er verheiratet war."
„Beklagte sich Clark Dixon über die Untreue seiner Frau?"
„No, Sir! Er hielt sie für sehr anständig und korrekt. Ich glaube, er hat ihren Verlust nie überwunden."
„Sie haben also nie etwas von einem Liebhaber Mary Dixons gehört?"
„No, Sir!"
Noch etwa zehn Minuten wechselten Fragen und Antworten in rascher Folge, dann durfte Olga Marat gehen. Ihre Aussage war von größter Wichtigkeit gewesen. Man hatte ihr manches zu verdanken.
„Der Brief, den ich in der Handtasche Mary Dixons fand", sagte Kommissar Morry zu seinem Wachtmeister, „wird noch von größter Bedeutung sein. Wir kennen jetzt die Schrift ihres Liebhabers. Ich werde von Experten den unleserlichen Namenszug entziffern lassen. Dann wird dieser Brief seine Runde machen, Potter. Vielleicht kennt jemand in der Nachbarschaft diese steile Schrift. Oder vielleicht erinnern sich die Herren in der Central Common Bank daran. Ich werde sie übrigens gleich mal besuchen. Ich finde nämlich, daß man dieser Bank bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit schenkte."
Wachtmeister Potter sperrte Augen und Ohren auf. „Der Bank?" fragte er verblüfft. „Was hat denn die Central Common Bank mit den Morden zu tun? Sie glauben doch nicht etwa, Sir, daß einer von den Kollegen Clark Dixons . . .?"
Kommissar Morry hörte ihn nicht mehr. Er stand schon draußen vor dem Zimmer.
Eine halbe Stunde später erschien er in der Schalterhalle der Central Common Bank am Kennington Oval. Er wurde von dem Abteilungsleiter Lucius Banim respektvoll empfangen.
„Was können wir für Sie tun, Sir?" fragte er höflich.
„Ich möchte mit einem Ihrer Direktoren sprechen. Wer ist denn gerade im Haus?"
„Der zweite Direktor Ashley Bienheim, Sir!"
„Gut. Führen Sie mich bitte zu ihm."
Sie
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