Kommissar Morry - Dunkle Maechte
Inspektor, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches. Treten Sie doch bitte näher, ich bin allein zu Hause und freue mich, daß Sie mir ein wenig Gesellschaft leisten wollen.“
Mit scharfen Augen hatte Inspektor Webb den Bürgermeister beobachtet. Der Mann war völlig ruhig und gelassen. Vielleicht wußte er selbst nicht einmal, daß sich sein Neffe bei ihm verborgen hielt. Das war doch möglich. Er hielt den Bürgermeister für einen viel zu aufrichtigen Menschen . . . nein, der verbarg bestimmt keinen Raubmörder!
Der Tisch war zum Abendessen gedeckt. „Bitte nehmen Sie Platz, Inspektor“, forderte ihn Burke auf, „und greifen Sie zu. Darf ich Sie zu einem Willkommenstrunk einladen.“
James Webb war von dem freundlichen Empfang des Bürgermeisters überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber dennoch war er mißtrauisch. Er nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Die Mahlzeit war vorzüglich, daher erkundigte sich Inspektor Webb nach der alten Haushälterin des Bürgermeisters; er erfuhr, daß sie stark unter Ischias zu leiden hatte. „Ich habe augenblicklich eine Vertretung“, entgegnete Jack Burke, „meine gute alte Berta ist im Krankenhaus und wird wohl kaum vor vier bis sechs Wochen zurückkehren.“
Nach dem Essen räumte eine dralle, etwa zwanzigjährige Magd den Tisch ab. Sie war eine appetitliche Person, die auf den Inspektor einen guten Eindruck machte. „Die Kleine hat ihre Vorzüge“, lächelte James Webb und blickte dem davongehenden Mädchen wohlgefällig nach.
„Mir geht es mehr um die leiblichen Genüsse“, entgegnete auflachend der Bürgermeister. „Aber Prost, mein Freund, lassen Sie den Wein nicht sauer werden, es ist ein ganz guter Tropfen.“ Sinnend betrachtete Inspektor Webb seinen Gastgeber. Warum erkundigte sich der Bürgermeister nicht nach seinem Neffen. Das wäre doch naheliegend gewesen. Plötzlich vernahm Inspektor Webb über sich ein Geräusch. Unwillkürlich blickte er zu dem Bürgermeister hinüber. Der reagierte aber gar nicht darauf, sondern erhob sich ein wenig mühselig, nickte dem Inspektor mit weinseligen Augen zu und sagte auf fordernd: „Na, mein Freund, der Wein scheint Ihnen auch zu munden, so werde ich in den Keller gehen und noch einige Flaschen holen.“
Schwankend verließ er den Raum. Da er hinter sich die Tür offenließ, hatte Inspektor Webb Gelegenheit, ihn zu beobachten. Schon stand er sprungbereit an der Tür. Auch James Webb spürte, daß seine Glieder vom Wein schwer waren. Ein leises Gepolter ließ ihn zusammenfahren. Der Bürgermeister war einige Stufen heruntergestolpert, nun hielt er sich am Geländer fest und ließ sich dann schwerfällig auf eine Stufe fallen. Diese Gelegenheit nutzte natürlich der Inspektor sofort aus. Auf Zehenspitzen huschte er nach oben. Ein feiner Lichtschein wies ihm den Weg. Nach wenigen Sekunden stand er vor einer Tür. Deutlich vernahm er, wie ein Mensch leise hin und herlief. Langsam zog er den Revolver aus der Tasche. Von unten klangen Schritte auf. Der Bürgermeister setzte wohl seinen Weg in den Keller fort. Jetzt zögerte James Webb nicht mehr. Behutsam drückte er die Klinke herunter, sie gab seinem Druck nach. John Withman stand am Fenster und blickte hinaus. Webb triumphierte innerlich, jetzt hatte er ihn! Ruhig hob er die Waffe und sagte mit fester Stimme: „John Withman heben Sie die Hände hoch!“
Ein Beben durchlief die Gestalt des jungen Mannes. Langsam wandte er sich herum und als er den Inspektor vor sich sah, hob er zögernd die Hände. John Withman war nicht fähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Die Überraschung war zu groß. Mit allem hätte er gerechnet, aber damit nicht. Wie war das nur möglich, daß Inspektor Webb vor ihm stand. Man mußte ihn verraten haben. Doch wer?!
Unwillkürlich warf John Withman einen Blick zum Fenster. Es hatte keinen Zweck, sich hinauszuschwingen, es war zu hoch, er würde sich unweigerlich das Genick brechen. So ergab er sich in sein Schicksal und stammelte immer wieder: „Ich bin unschuldig, Inspektor, ich bin kein Mörder.“
„Folgen Sie mir, Mister Withmar“, entgegnete mit harter Stimme Inspektor Webb.
Mit weitaufgerissenen Augen starrte John Withman den Beamten an. „Wer hat mich verraten?“ fragte er mit zuckenden Lippen. „Ich bin doch verraten worden, nicht wahr? Vielleicht Jim?“ Nun schwieg er verlegen, da er sich beinahe verraten hätte.
„Jim Rachow hat Sie nicht verraten“, erklang die ruhige Stimme des Inspektors,
Weitere Kostenlose Bücher