Kommissar Morry - Ich habe Angst
erledigen."
Esther Harras ließ den Hörer sinken. Er fiel ihr beinahe aus der Hand. Klirrend schlug er auf der Gabel auf. Gefoltert und gequält stürmte sie aus der Zelle. Sie wagte kaum noch, zu Jack Havard zurückzukehren. Aber sie mußte es tun. Die Stimme Alban Lampards gellte ihr noch immer in den Ohren. Diese gefürchtete Stimme peitschte sie vorwärts. Sie trieb sie in die Cafestube zurück. Erschöpft sank sie in die Polster. Ihr Atem ging gepreßt und unruhig. Ihr Gesicht war weiß wie Kreide.
„Sie könnten mir einen Gefallen tun", sagte Jack Havard in diesem Moment.
Esther Harras hob bestürzt den Kopf. Scham und Furcht stritten sich in ihr. Sie brachte einfach den Mund nicht auf. Die Angst verschloß ihr die Lippen.
„Erzählen Sie mir, was Henry Boswell in den Tod trieb. Weiter will ich nichts von Ihnen wissen. Ich würde Ihnen dafür versprechen, mich nie wieder in die Angelegenheiten Alban Lampards zu mischen."
Esther Harras ließ ratlos die Schultern sinken. „Ich kann Ihnen leider nicht helfen, Mr. Havard. Ich weiß nicht, warum Henry Boswell Selbstmord beging. Ich habe wirklich keine Ahnung. Vielleicht war Alban Lampard schuld daran. Er hat schon viele Menschen in die Verzweiflung getrieben."
„Nennen Sie mir ein Beispiel", sagte Jack Havard. „Ich brauche Beweise. Mit bloßen Vermutungen läßt sich nichts anfangen. Sonst hätte die Polizei längst eingegriffen."
Esther Harras schwieg. Ihre Blicke hefteten sich auf die Tür. Ihr Herz zuckte wie unter dem Griff einer rohen Faust. Jeden Moment wird Steff Sel- by eintreffen, dachte sie entsetzt. Er wird an irgendeinem Nachbartisch Platz nehmen. Er wird warten, bis wir Weggehen. Dann wird er hinter Jack Havard herschleichen und ihn in einem finsteren Winkel hinterhältig überfallen. Die Polizei aber wird ratlos vor einem neuen Opfer Alban Lampards stehen.
„Ihr Kaffee wird kalt", sagte Jack Havard lächelnd. „Warum trinken Sie denn nicht?"
Esther Harras behielt noch immer die Tür im Auge. Sie tastete die Nachbartische ab. War Steff Selby etwa schon eingetroffen, ohne daß sie es bemerkt hatte?
Sie nahm ein seidenes Tuch aus der Handtasche. Helle Schweißperlen standen in ihrem Gesicht. Hastig und scheu trocknete sie ihre Stirn. Wie lange sollten diese Qualen noch dauern? Warum kam Steff Selby nicht endlich? Wollte man sie hier bis Mitternacht sitzen lassen? Jack Havard bestellte einen Likör für sie. Er sprach über dieses und jenes. Er erwähnte Alban Lampard mit keinem Wort mehr. Kurz vor zehn Uhr zahlte Jack Havard seine Rechnung.
„Wollen Sie noch bleiben?" fragte er. „Ich gehe jetzt. Morgen früh muß ich bald aufstehen. Ich werde nach Mala Green fahren."
Ihr Aufbruch zog sich noch etwa eine halbe Stunde hin. Dann gingen sie wirklich. Seite an Seite verließen sie das Cafe. Esther Harras blickte sich schaudernd auf der dunklen Straße um. Sie spähte in alle Winkel. Ihre Augen weiteten sich vor Furcht und Grauen. Sie werden hier auf ihn lauern, dachte sie. Sie werden ihn überfallen, sobald ich ihn verlassen habe. Sicher schielt Steff Selby schon längst zu uns her.
Ich werde ihn nach Hause fahren, überlegte sie weiter. Mehr kann ich nicht für ihn tun. In seiner Wohnung wird er sicher sein. Dort können sie ihm nichts anhaben.
„Kommen Sie, Mr. Havard", sagte sie tonlos. „Mein Auto steht auf dem nächsten Parkplatz. Es ist nicht weit. Ich bringe Sie nach Hause."
Als sie die Straße überquerten, hörte sie eilige Schritte in ihrem Rücken. Sie wußte sofort, woran sie war. Steff Selby hatte also bereits die Verfolgung aufgenommen. Er war wie ein Gespenst hinter ihnen her. Er wartete nur noch auf einen günstigen Moment. Er brauchte eine dunkle Ecke für seine schändliche Tat. Aber Esther Harras machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie ging mit Jack Havard unter den Laternen dahin. Sie drängte ihn zur Eile. Erleichtert atmete sie auf, als der Parkplatz in Sicht kam. Der Wächter öffnete die Türen des Wagens und kassierte die Platzgebühren. Dann dirigierte er den Wagen zur Ausfahrt. Sobald Esther Harras die freie Straße erreicht hatte, starrte sie argwöhnisch in den Rückspiegel. Sie erblickte die Scheinwerfer eines Wagens. Sie erriet sofort, daß es Steff Selby war, der hinter ihnen herfuhr. Sie steigerte das Tempo. Sie jagte mit 60 Meilen auf die York Street zu. Mit kreischenden Bremsen kam der Wagen vor dem Haus Nr. 44 zum Stehen.
„Gehen Sie rasch, Mr. Havard", stammelte sie mit weißen Lippen.
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