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Kommissar Morry - Ich habe Angst

Kommissar Morry - Ich habe Angst

Titel: Kommissar Morry - Ich habe Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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sie ihre Beine trugen. Eine quälende Unrast war in ihr. Eine bange Ahnung kreiste wie Fieber in ihrem Blut. Die Furcht griff nach ihr wie eine stählerne Zange. Nach wenigen Minuten hatte sie die graue Villa an der Parkside erreicht. Sie lief durch das Gartentor. Sie hastete über den Kiesweg und sah, daß im Arbeitszimmer Norbert Scotts noch Licht brannte. Anscheinend saß er wieder über seiner Lebensbeichte, die später als Biographie erscheinen sollte. Es war aber auch möglich, daß er einzig und allein auf ihre Rückkehr wartete. Vielleicht wollte er noch mit ihr reden. Sicher würde er sie wieder bedrängen und bis in ihr Zimmer verfolgen. Nur das nicht, dachte sie. Ich könnte das heute nicht mehr ertragen. Ich will kein Wort mehr hören. Ich muß nachdenken. Ich muß erst zur Ruhe kommen.
    Als sie schon die Klinke des Hausportals in der Hand hielt, fiel ihr plötzlich ein, daß sie keine Zigaretten hatte. Sie kehrte noch einmal um. Sie lief auf die Straße hinaus und wanderte mit hastigen Schritten auf den kleinen Bahnhof zu. Sie erreichte das Gebäude. Dicht neben der Sperre befand sich ein Zigarettenautomat. Lydia Brandon warf eine Münze ein und zog eine Packung heraus. Als sie sich umdrehte, stand Alban Lampard neben ihr. Er war wie ein Gespenst aus dem Dunkel aufgetauch't. Seine Blicke tasteten sie argwöhnisch ab.
    „Was wollen Sie hier?" fauchte er sie an. „Haben Sie etwa im Sinn, sich heimlich aus dem Staub zu machen?"
    Lydia Brandon umkrampfte die Schachtel, als gäbe sie ihr einen Halt. Sie war kaum noch bei klarem Verstand. Die ewige Furcht hetzte sie noch in den Irrsinn. Und seltsam, gerade in dieser verzweifelten Sekunde mußte sie an jenen Mann denken, der sie hierher nach Mala Green begleitet hatte. Er war bisher der einzige Mensch gewesen, der gütig zu ihr gesprochen hatte, auch wenn er im Auftrag Alban Lampards mit ihr gefahren war. Sie hatte seither oft an ihn gedacht. Sie konnte dieses markante Männergesicht mit den energischen Zügen und den ausdrucksvollen Augen nicht vergessen.
    „Wo ist eigentlich Henry Boswell?" fragte sie wie unter einem geheimnisvollen Zwang. „Ich habe ihn seither nicht wieder gesehen. Er wollte sich doch öfter nach mir umsehen."
    „Henry Boswell ist tot", stieß Alban Lampard zynisch hervor. „Er ist tot, verstehen Sie? Er liegt im Leichenschauhaus am Holborn Viaduct."
    Lydia Brandon verfärbte sich. Sie schwankte. Sie suchte nach einem Halt. Hinfällig lehnte sie sich an die Mauerwand des Bahnhofsgebäudes.
    „Das ist doch unmöglich", würgte sie über die Lippen. „Sagen Sie die Wahrheit, Mr. Lampard! Was ist mit ihm geschehen?"
    „Er beging Selbstmord. Er kletterte auf einen Mast der Hochspannungsleitung. Es stand gestern in allen Zeitungen."
    Mehr wollte Lydia Brandon nicht mehr hören. Dieser Tag war anscheinend dazu angetan, auch die letzte Hoffnung in ihr zu zerbrechen. Sie mußte sich damit abfinden, daß sie allein war. Völlig allein. Sie entfernte sich mit schleppenden Schritten. Sie blickte nicht mehr zurück. Mechanisch wie eine Puppe ging sie auf die Parkside zu. Diesmal betrat sie die graue Villa ohne Zögern. Sie schlich lautlos durch die Halle und machte kein Licht. Rasch huschte sie die Treppe empor.
    Als sie ihr Zimmer erreicht hatte, verriegelte sie die Tür und zündete sich eine Zigarette an. Kurz nachher begann sie sich auszukleiden. Sie betrachtete sich im Spiegel. Und es überraschte sie, daß ihr Körper noch so straff und elastisch war wie vor wenigen Tagen. Die Haut war bräunlich getönt, als hätte sie noch vor kurzem die Urlaubssonne in einem Strandbad genossen. Nur das Gesicht zeugte von den Aufregungen der letzten Tage. Unter den Augen lagen dunkle Schatten. Und die roten Lippen preßten sich zu einem ganz schmalen Strich zusammen. Lydia Brandon wollte eben das Licht löschen, als sie Schritte vor der Tür hörte. Eine Hand tastete nach der Klinke und drückte sie nieder. Im nächsten Moment pochte es an die Tür. Es war die Stimme Norbert Scotts, die laut und polternd ins Zimmer drang.
    „Sind Sie noch wach, Lydia?" fragte er töricht. „Warum sind Sie denn nicht noch auf einen kleinen Sprung zu mir gekommen? Ich habe Sie doch heute etwas gefragt. Erinnern Sie sich? Ich meinte es bitter ernst. Wollen Sie mir nicht endlich eine ehrliche Antwort geben?"
    Lydia Brandon preßte beide Hände auf die brennenden Augen. Sie spürte Tränen zwischen den Fingern. Ein heftiges Schluchzen begann sie zu schütteln. Alban

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