Kommissar Pascha
Seine Wildlederjacke ist alles andere als passend für den heißen Sommertag, besänftigte sich Demirbilek mit unnötigen Gedanken, um seine Wut in Zaum zu halten. »Natürlich kann ich das. Gehen Sie jetzt besser, sonst werde ich wütend.«
Kurt Bremser war angesichts des fiebrigen Tons, den der selbstbewusst auftretende Türke anschlug, mit einem Schlag verunsichert.
»Na schön, ich beuge mich der Autorität Ihres Dienstgrades«, lenkte er ein und wollte trotzdem nicht klein beigeben. »Aber melden muss ich das.«
»Machen Sie das. Muss ja seine Ordnung haben.«
»Ja, genau! Das ist nicht wie bei euch in der Türkei. Wir Deutschen lieben nicht umsonst Ordnung und Gründlichkeit. Das ist doch die Basis, damit alles funktioniert.«
»Funktionieren geht auch anders.«
»Gefallen tut mir das nicht, Herr Kollege!«
»Sie gefallen mir auch nicht«, murmelte Demirbilek abschließend.
Bremser verschwand wutentbrannt mit den beiden Bestattern. Endlich war der Kommissar alleine mit dem Opfer. Er stellte sich vor den Leichnam, murmelte eine Sure aus dem Koran, bevor er vorsichtig den Reißverschluss des Leichensacks öffnete.
Das Gesicht des schnauzbärtigen Mannes war entstellt. Überall waren Aufschürfungen zu sehen, als ob jemand die Haut mit einem groben Schleifpapier bearbeitet hätte. Wahrscheinlich hat ihn die Strömung mit dem Gesicht nach unten über das Bachbett geschleift, vermutete Demirbilek. Ohne den Leichnam zu berühren, konzentrierte er sich auf die Reißnägel in der Brust des Toten. Er überlegte, versuchte, ein Muster oder eine Botschaft zu erkennen. Dann zeichnete er mit dem Zeigefinger in der Luft die Anordnung nach und schüttelte nachdenklich den Kopf. Was ist das?, fragte er sich, eine Nachricht des Mörders auf Arabisch? Er hatte in der Koranschule Arabisch gelernt, aber nach den ersten Jahren in Deutschland fast alles wieder vergessen. Gedankenverloren schweifte sein Blick vom Toten hinüber zum Eisbach. Schattige und sonnige Partien wechselten auf dem plätschernden Wasser. Demirbilek achtete beim Zuziehen des Reißverschlusses sorgsam darauf, den Toten nicht zu berühren. Dann zog er Schuhe und Strümpfe aus. Die Hose krempelte er bis unter die Knie hoch.
Isabel Vierkant stellte ohne weiteren Kommentar Polizeimeister Freilinger den Klappstuhl vor die Füße. Der alte Polizist war verblüfft. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass der Stuhl für ihn gedacht war, und winkte dankend zu Demirbilek. Doch der bemerkte ihn nicht, er starrte mit nackten Füßen ins Wasser des Eisbachs.
Vierkant näherte sich Demirbilek und registrierte, dass er in Gedanken war. Sie wagte es nicht, sich bemerkbar zu machen. Stattdessen musterte sie unauffällig sein Gesicht. Von der Seite, fand sie, machte er einen recht ansprechenden Eindruck. Die schwarzen, dichten Augenbrauen, die dunkelbraunen Augen und die langen Wimpern. Er hat schon was sehr Türkisches, so was Orientalisches, dachte sie für sich und verharrte weiterhin regungslos. Dann blickte auch sie in den Eisbach. Die Gischt, das Strömen des Wassers wirkten beruhigend. Das leise Plätschern kam ihr ein bisschen wie eine Andacht in der Kirche vor, wenn alle gemeinsam das
Vaterunser
beten, überlegte sie und schmunzelte leise über den abwegigen Vergleich.
»Wissen Sie, das Plätschern des Wassers ist nicht viel anders als in der Moschee. Das leise Murmeln der Suren hilft, sich zu sammeln und zu besinnen«, beendete Demirbilek in vertraulichem und ernstem Ton seine kurze Auszeit.
Isabel Vierkant schluckte und erschrak über Demirbileks Worte, die klangen, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Der Kommissar stand auf und zog sich die Schuhe wieder an. »Ich bin froh, dass Sie nichts gesagt haben … Wer weiß, vielleicht würden wir dann jetzt nicht zusammen ins Büro fahren.«
»Heißt das, dass ich in Ihrer Abteilung bin?«, fragte Vierkant nach. Sie wollte endlich Gewissheit.
»Das heißt, dass Sie Ihren Mann in nächster Zeit nicht recht oft sehen werden. Lassen Sie uns gehen. Wir haben viel zu tun.«
Vierkant jubilierte innerlich und dankte dem lieben Herrgott dafür, dass ihr Bewerbungsgespräch erfolgreich verlaufen war.
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12
N achdem Jale Cengiz einen Schreibtisch in Beschlag genommen und erste Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet hatte, bekam sie Lust auf eine Eisschokolade. In einem Café in der Nähe des Präsidiums setzte sie sich auf den einzigen freien Stuhl direkt neben der Kollegin vom zentralen Materiallager, wie
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