Kommissar Pascha
würde er mit der Erpressung aufhören, hatte er sich vorgenommen. Er holte das Brillenetui aus dem Handschuhfach und säuberte die Brillengläser aus Fensterglas mit dem Putztuch, bevor er sie aufsetzte. Dann stieg er aus und verriegelte mit der Fernbedienung seinen Wagen. Mit der Sporttasche über der Schulter schlenderte er über den Parkplatz und überquerte in einer Mischung aus Vorfreude und Besorgnis die Straße. Das Gefühl wandelte sich schlagartig in Erregung, als er das rot leuchtende Neonschild des Wellnessparadieses Sultans Harem erblickte.
Zur selben Zeit saß der Deutsche mit seinem Fotoapparat in einem gemieteten BMW Mini. Er hatte Metin Burak vor dem Haus der Güzeloğlus abgefangen und war ihm quer durch die Stadt gefolgt, bis er auf dem Parkplatz eines Supermarktes angehalten hatte. Nun beobachtete er mit stoischer Ruhe, wie Metin Burak aus dem Wagen stieg, kurz nachdem der merkwürdige blonde Mann mit Brille die Straße überquert hatte. Zu seiner Verwunderung war der Chauffeur aber gar nicht selbst am Lenkrad gesessen. Auf der Fahrerseite stieg ein junger Mann aus, den er nicht kannte. Metin und der Fahrer warteten einen Moment und folgten dem Mann mit der Brille.
Was geht hier vor?, fragte sich der Deutsche verwundert. Was treibt der alte Mann an seinem freien Abend?
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21
Z eki Demirbilek klopfte mit der Flasche Wein in der Hand an das erleuchtete Schaufenster, bis Robert Haueis mit überraschtem Gesicht öffnete. Der Antiquitätenhändler wirkte, als hätte er sein Aussehen seinem antiken Warenangebot angepasst. Er verabscheute Fabrikneues in jedweder Form, insbesondere was Kleidung betraf. Robert hatte eine kleine Bleibe, die zum Geschäft gehörte, wobei er sich ohnehin die meiste Zeit in seinem geliebten Laden aufhielt. Trotz der späten Stunde schien er sich über den Besuch seines Freundes zu freuen. Seine strahlenden Augen erhaschten den türkischen Rotwein. Er entriss Demirbilek die Flasche.
»Ich hole gleich das Brett, Zeki! Du warst eine ganze Woche nicht da. Ich will spielen!« Seinen Vornamen sprach er wie »Tseki« aus, aber der Kommissar hatte sich an die falsche Aussprache in den acht Jahren ihrer Freundschaft gewöhnt.
Robert, der jahrelang als Journalist in Istanbul gearbeitet hatte, bevor er mit einem Erbe den Antiquitätenladen im Glockenbach eröffnete, schloss hinter sich ab und kramte nach einem Korkenzieher in dem heillosen Durcheinander seines Geschäfts. Für Zeki war Robert nicht nur ein Freund und Vertrauter, nicht nur Anlaufstelle für einen Plausch über die wichtigen Dinge im Leben, FC Bayern München aus Roberts Sicht, Fenerbahçe Istanbul aus Zekis. Robert war obendrein sein Leidenschaftsgenosse.
Tavla
verband die beiden wie eine Nabelschnur. Kaum hatten sie die fünfzehn schwarzen und fünfzehn weißen Steine aufgereiht und die beiden kleinen Würfel in der Hand, verlor die Welt um sie herum an Bedeutung. Das kunstvoll verzierte Brett, das Robert ausschließlich für die Spiele mit seinem Freund in der Schublade seines Sekretärs verwahrte, war ein besonderes Stück. Laut notariell beglaubigter Expertise im Tresor seiner Bank sollen sich mit dem Brett Eunuchen im Harem des Sultans Süleyman des Prächtigen die Zeit vertrieben haben. Mit einer Portion Demut und einer Prise Gleichgültigkeit über die historische Dimension des Spielbrettes verlief die erste Partie in der Regel stumm. Es kam vor, dass Robert, vertieft in das Spiel, kaufwillige Kunden nicht beachtete. Bei der zweiten Partie redeten sie über das Wetter, ihre jeweiligen Fußballvereine, deren Skandale und sportlichen Status quo. Erst bei der dritten Partie trat Entspannung ein, um ein einigermaßen normales Gespräch zu führen.
Zeki wartete, bis Robert die Weingläser gefüllt hatte. Dann setzte er sich zu ihm und klappte das Brett auf. Darin befand sich ein liniertes Schulheft, in dem seit fünf Jahren ihre Partien mit Datum notiert wurden. Das Buchhalterische war Roberts Idee. Bei aller Leidenschaft für die türkische Backgammon-Variante konnte er das »Deutsche« in sich nicht ganz ablegen. Wie ein Süchtiger griff Robert nach den weißen Steinen und stellte sie auf. Zeki tat dasselbe mit den schwarzen. Danach wurde es still. Rastlos purzelten die Würfel auf das osmanische Brett. Die Steine schrubbten über das antike Holz. Es dauerte nicht lange, bis Robert gewonnen hatte und eine Notiz in das Heft schrieb.
»Was machst du eigentlich hier? Hast du immer noch keinen Fall?«,
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