Kommissar Pascha
Männer standen rauchend vor einem Teelokal. Ist ja wie zu Hause, feixte er, wobei ihm der Vergleich mit Istanbul unangebracht und unfair erschien.
Sobald er sich wieder in das Zimmer drehte, entdeckte er das einfache Holzkreuz an der Wand über der Tür. Er musste sich nicht groß strecken, um es abhängen zu können. Er setzte sich auf das Bett und senkte seinen Blick auf die leidenden Gesichtszüge der Christusfigur. Er hatte gelesen, dass selbst in Schulklassen Jesus an die Wand genagelt war. Ihm persönlich war es zu drastisch und zu plakativ, wie Christen an ihren Gott erinnerten. Mehr Effekt als Glaube. Als Moslem glaubte er an Allah, ohne ihm auf Schritt und Tritt begegnen zu müssen. Dann schüttelte er mitleidig den Kopf. Das Holzkreuz war aus Plastik, ein »Made in China«-Etikett klebte auf der Hinterseite. Behutsam wischte er den jahrealten Staub vom Kreuz und verstaute es in der Schublade des Nachtkästchens neben der Hotelbibel.
Danach holte er seinen Walkman aus der Tasche und kontrollierte seine digitale Spiegelreflexkamera. Er hatte fünf Sechzehn-Gigabyte-Speicherkarten eingesteckt. Das sollte reichen, glaubte er, denn einen Computer zum Übertragen der Fotos hatte er nicht eingepackt. Eine Grundsatzentscheidung. Zu unhandlich, zu einfach zu knacken, falls er flüchten musste.
Dann trat er in das Badezimmer und begann, sich auszuziehen. Er rasierte sich immer nackt. Eine Angewohnheit, die er von seinem Vater übernommen hatte. Sein Spiegelbild zeigte einen gutaussehenden Mann. Wenn mich meine Auftraggeber kennen würden, würden sie mich »der Italiener«, nicht »der Deutsche« nennen, dachte er ein wenig selbstverliebt.
Nach der Rasur zog er Jeans und Jeansjacke an und schlüpfte in seine Stiefel, die er trug, wenn er arbeitete, ganz gleich, bei welchem Wetter. Anschließend holte er Metin Buraks Foto aus der Tasche, um es in Ruhe anzusehen. Hinten auf dem Foto befand sich ein Aufkleber mit der Adresse der Familie Güzeloğlu. Von seinem Auftraggeber hatte er die Information, dass Metin Burak als Chauffeur der Familie ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Gül pflegte. Er hatte beschlossen, bei ihm mit seinen Beobachtungen anzufangen.
Der Mann klappte seine Magnetbrille auseinander. Die beiden Brillenteile, die von einer kaum sichtbaren Spezialschnur zusammengehalten wurden, baumelten um seinen Hals. Angezogen legte er sich auf das Bett. Er schloss die Augen und atmete tief ein und aus, bis genügend Spannung und Konzentration aufgebaut war. Nach exakt fünfundfünfzig Atemzügen war er bereit. Er erhob sich und machte sich an die Arbeit.
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20
S tefan Tavuk stellte seinen geleasten VW Golf auf dem Parkplatz eines überdimensionalen Supermarktes ab. Er war nervös, nicht nur, weil er bei Bülent zu Hause angerufen und von dessen Frau erfahren hatte, dass sein Partner tot im Eisbach gefunden worden war. Den Schock über die Todesnachricht versuchte er, mit ein paar Schnäpsen in den Griff zu bekommen. Zu seiner Beruhigung fiel ihm ein, dass Bülent nicht nur in das Geschäft mit Gül verstrickt war. Er hatte mit seinen Autoschiebereien geprahlt. Beim letzten Schnaps war sich Tavuk sicher, dass Gül nichts mit seinem Tod zu tun haben konnte. Einigermaßen beruhigt darüber, machte er sich auf den Weg zu Bülents Wagen. In einer Einbuchtung des Tankdeckels war der Tresorschlüssel versteckt. Güls Nachricht mit dem Treffpunkt um dreiundzwanzig Uhr war per SMS eingegangen. Sie habe es sich anders überlegt, hatte sie geschrieben. Besser so, Mädchen, dachte er, auch wenn du mich im Speed ziemlich vorgeführt hast. Stutzig machte ihn, dass seine Handynummer kaum jemand kannte. Er hatte sie erst vor einer Woche beim Kauf eines Smartphones gewechselt. Bülent hatte sie, ein paar Freunde. Derya, seiner Schlampe von Ehefrau, hatte er sie geschickt.
Gewissenhaft prüfte Tavuk den Inhalt seiner kleinen Sporttasche auf dem Beifahrersitz. Eine angebrochene Großpackung Kondome, Unterwäsche, frische Socken und Gül Güzeloğlus Höschen. Bülent hatte die Reizwäsche bei einer der Maskenball-Partys im Sultans Harem abgestaubt, als Gül in Hochstimmung das edle Teil in die Menge der aufgestachelten Partygäste geworfen hatte. Er hatte die Reizwäsche aus dem Tresor geholt, um ihr zu zeigen, dass er trotz Bülents Ermordung im Besitz des belastenden Materials war.
Er kontrollierte den Tresorschlüssel in seiner Hosentasche. Das Metall fühlte sich gut an. Eine letzte stattliche Summe, dann
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