Kommissar Pascha
oder?«, fragte Özlem verblüfft nach.
Demirbilek verstummte.
»Was ist,
baba?
Ist was passiert?«
Sein Herz schlug schneller. Er dachte fieberhaft nach und schüttelte verzweifelt den Kopf. Natürlich, Selmas Brief. Er hatte ihn verdrängt. Verdrängt, dass er nach fünf Jahren seinen Sohn wiedersehen würde. Sie mussten sich in Ruhe unterhalten. Reden über Istanbul, über ihre Trennung, über sein Studium. Einen Weg als Vater und Sohn finden. Wie sollte das gehen, wenn eine fremde Person in der Wohnung war? Er seufzte tief.
»Özlem, ich habe tatsächlich vergessen, dass dein Bruder kommt«, sagte er verzweifelt. »Ich weiß ja nicht einmal, wann.«
»Er landet um fünf nach sechs. Lass uns zusammen zum Flughafen fahren, ja«, schlug Özlem vor und witzelte: »Ist doch nicht schlecht, wenn ihr in dem großen Bett zusammen pennt.«
Demirbilek war nicht zum Lachen zumute. »Sei übermorgen um fünf zu Hause, wir nehmen die S-Bahn.«
»
Baba,
ich komme um fünf zu dir. Gerne! Zu Hause aber ist da, wo ich seit einem Jahr wohne.«
»Schon gut«, besänftigte Demirbilek sie. Er war durcheinander.
»Jetzt mach dir keinen Kopf. Aydin wird das schon verstehen. Er lebt ja in Istanbul. Da ist es genauso schwierig und teuer, eine Wohnung zu finden, wie in München.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, machte sich Demirbilek Mut. »Aydin wird das verstehen.«
»Ist sie denn hübsch?«
»Wer?«
»Na, deine türkische Mitbewohnerin.«
»Denk schon«, erwiderte Demirbilek und war froh, sich darüber bis jetzt nicht viele Gedanken gemacht zu haben.
»Aydin ist ja noch zu haben. Verkupple die beiden doch!«, spöttelte sie. »
Iyi akşamlar, baba,
bis morgen.«
Resigniert hielt Demirbilek den Hörer in der Hand. Das kochende Teewasser brodelte. Er ignorierte es. Sein Herz raste wie in der Nacht zuvor. Er horchte in sich hinein. Es pochte wild und unregelmäßig. Er merkte erst nach einer Weile, dass das Wasser zu brodeln aufgehört hatte. Er drehte sich zum Herd um. Cengiz goss den Tee auf.
»Ist was passiert?«, fragte sie besorgt.
»Nein, alles in Ordnung«, schwindelte Demirbilek und erhob sich vom Stuhl. »Wie stehst du zu Knoblauch?«
»Ich liebe Knoblauch!«, war ihre ehrliche Antwort.
»
Sucuk
mit Spiegelei, dazu Radi?«
»Radi?«, wiederholte Cengiz fragend.
»Rettich, in dünne Scheiben geschnitten, mit viel Salz. Passt hervorragend zu der scharfen
sucuk
«, erklärte Demirbilek.
»O ja!«, begeisterte sich Cengiz. »Für so ein Festmahl putze ich morgen die ganze Wohnung!«
»Gute Idee. Putzen darfst du gleich nach dem Abendessen. Wir bekommen Besuch«, antwortete Demirbilek, der sich in der Zwischenzeit eine Lösung für Aydins Schlafproblem überlegt hatte. Sein rasendes Herz beruhigte sich. Er öffnete den Kühlschrank, holte türkische Rindswurst, Rettich und ein paar Tomaten heraus und bereitete das Abendessen vor.
»Ach, was ich ganz vergessen habe, vorhin im Biergarten zu erwähnen …«, begann Cengiz.
Demirbilek sah vom Schneidebrett auf und unterbrach sie. »Wenn es nichts Eiliges ist, möchte ich zu Hause nicht über die Arbeit reden.
Tamam mı?
«
Später beim Abendessen unterhielten sie sich über Cengiz’ Familie. Über ihre Schwierigkeiten als Tochter einer Arbeiterfamilie, die darauf bestand, dass sie eine Ausbildung zur Reisekauffrau machte. Dass sie zur Polizei gehen konnte, verdankte sie ausschließlich ihrem älteren Bruder. Er berief eine Familienversammlung ein. Das Für und Wider wurde abgewogen. Nach zwei Stunden umarmte sie ihre weinende Mutter, weil der Vater ihr die Erlaubnis für die Bewerbung bei der Berliner Polizei gegeben hatte.
Ähnlich wie bei mir, aber doch völlig anders, dachte Demirbilek und fragte: »Warum bist du dann von deiner Familie weg?«
»Mein älterer Bruder hat geheiratet und ist nach Ankara.«
»Verstehe. Aber du bist nicht wegen deiner Eltern weg aus Berlin. Sondern wegen deines jüngeren Bruders, oder?«
Cengiz war offensichtlich verblüfft über die Frage. »Darf ich ehrlich sein?«, bat sie, trank einen Schluck Tee und wartete die Antwort nicht ab, sondern war derart aufgewühlt, dass ihr beim Reden die Tränen kamen. »Ständig sagt er mir, was ich tun und lassen soll. Was ich anziehen darf und was nicht. Er ist mir nachgestiegen und hat herausgefunden, dass ich einen Freund habe. Nicht mal einen Türken oder Deutschen. Ein richtig netter Franzose. Als er den nur einmal schief angesehen hat, ist der Feigling auf und davon. Mein lieber
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