Kommissar Pascha
wartete am Geldautomaten in der Schlange. Cengiz hatte keine Lust, sich auf den Arm nehmen zu lassen, und klingelte bei Karaboncuks, die im zweiten Stock wohnten. Sie wartete. Nichts geschah, bis ein Junge mit einem Fußball unter dem Arm aus der Tür trat. Er trug das Trikot der türkischen Nationalmannschaft.
»Hey, warum bist du nicht in der Schule?«, fragte sie das offenbar türkische Kind.
Auf die Frage bekam sie einen Tritt gegen das Schienbein. Der Junge lief blitzschnell davon, bog in die nächste Querstraße ab und war nicht mehr zu sehen. Der Tritt tat nicht weh, trotzdem ärgerte sich Cengiz. Sie wusste, dass der Junge zugetreten hatte, weil sie eine Frau war. Bei einem Mann hätte er das nicht getan. Mit etwas zu viel Wut im Bauch betrat sie das Haus, ohne auf Leipold zu warten.
Der Deutsche erkannte die Frau, die ihm auf der Treppe entgegenkam, sofort. Eine der Ermittlerinnen, die Gül am Hauptbahnhof verfolgt hatte. Mit voller Wucht versetzte er ihr einen gezielten Tritt in den Magen. Ihr Schmerzensschrei hallte durch das Treppenhaus, ihr Körper polterte dumpf rückwärts die Treppenstufen nach unten. Ihr Hinterkopf knallte auf die Kante der drittletzten Stufe, bevor sie bewusstlos zu Boden fiel. Der Deutsche stieg achtlos über sie hinweg und verließ über den Hinterausgang das Haus.
Draußen im Hof schob er die Schirmmütze tiefer ins Gesicht. Besser so, dachte er, sonst hätte sie mein Gesicht gesehen. Dann schimpfte er sich selbst, dass er in der Wohnung des Erpressers wütend geworden war. Er nahm seinen Auftrag ernst. Er hatte am Tag zuvor Ahmet aufgesucht und ihm mit seiner Maske einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Die Spritze, die er dem Jammerlappen in den Oberarm gejagt hatte, genügte, um ihn zum Reden zu bringen. Er erfuhr, dass er mit seinem Vater Gül vor zwei Erpressern schützen wollte. Die schlechte Nachricht dabei war, dass sie den Schlüssel zum Tresor nicht gefunden hatten, worin sich das belastende Material der Erpresser befinden sollte. Als Ahmet in Todesangst auch noch preisgab, Güls Geliebter zu sein, wollte der Deutsche das zunächst nicht glauben. Diese Information durfte er nicht zurückhalten. Er beschloss, seinen Auftraggeber zu informieren. Die Gesamtsituation hatte sich grundlegend geändert. Dummerweise hatte er in der Wohnung nichts gefunden. Trotzdem hätte er kein Feuer legen sollen, zog er mit sich selbst ins Gericht und nahm sich vor, die Durchsuchung von Stefan Tavuks Wohnung zivilisierter durchzuführen. Bevor er am Ende des Hofes angelangt war, drehte er sich um und schüttelte den Kopf über den Rauch, der aus der Küche der Familie Karaboncuk drang.
Pius Leipold drückte mit der flachen Hand alle Klingeln. Das Schmerzmittel tat seine Wirkung. Die Lebensgeister kehrten zurück.
Endlich summte der Türöffner, ohne dass sich jemand an der Gegensprechanlage gemeldet hatte. Er betrat das dunkle Treppenhaus und blieb erschrocken stehen. Cengiz lag regungslos am Fuß der Treppe. Adrenalin jagte durch seinen Körper, er war auf einen Schlag hellwach und voll konzentriert. Instinktiv zog er seine Dienstwaffe und schaltete das Licht ein. Mit geübtem Blick kontrollierte er, ob jemand im Treppenhaus zu sehen war. Dann eilte er zu Cengiz und kniete sich neben sie nieder. Er fühlte ihren Puls an der Halsschlagader. Schwach, aber deutlich, stellte er erleichtert fest und holte sein Handy aus der Jackentasche, um die Notrufzentrale zu verständigen. Noch während er telefonierte, bemerkte er, wie seine Nase kitzelte und seine Augen zu tränen begannen. Er schaute nach oben und entdeckte im Treppenaufgang Rauchschwaden. Sie drangen aus einem der oberen Stockwerke. Schnell informierte er den Kollegen am Apparat und legte auf. Erst jetzt schlich sich das schlechte Gewissen in seine Gedanken. Er hätte Cengiz nicht allein lassen dürfen. Besorgt schaute er in ihr leblos wirkendes Gesicht. Mit zitternden Händen strich er ihr über die kurzen Haare.
Stefan Tavuks Dreizimmerwohnung war ordentlich und sauber aufgeräumt. Eingerichtet mit Orientteppichen an der Wand, Deko-Samowar und einer bunten Mischung aus Andenken und Mitbringseln etlicher Türkeireisen. Demirbilek und Vierkant durchsuchten in Ruhe die Wohnung, während Derya Tavuk im Badezimmer duschte.
»Warum duscht sie jetzt? Kann sie nicht warten, bis wir weg sind?«, fragte Demirbilek seine Kollegin.
Sie zuckte mit den Achseln und trat in das Porschezimmer, wie sie es für sich taufte.
Weitere Kostenlose Bücher