Kommissar Pascha
Familie ist abgehauen in Türkei«, sagte der Dirigent in gebrochenem Deutsch.
Demirbilek nickte Vierkant zu. Sie eilten zu Fuß die Treppen hinunter. Vierkant versuchte erneut, Ali Karaboncuk auf dem Handy zu erreichen. Doch wieder schaltete sich nur die Mailbox ein.
Direkt an der Tegernseer Landstraße auf der anderen Seite des Grünwalder Fußballstadions, das Demirbilek trotz der vielen Jahre in München noch nie von Innen gesehen hatte, saß Ali Karaboncuk gegenüber von Antonia bei einer Maß Bier. Die beiden mochten sich seit der ersten Begegnung im Wellnessparadies. Sie besprachen den gemeinsamen Spontanurlaub in Griechenland. Antonia wollte auf eine Insel, Kreta oder Kos. Alis Bedenken, als Türke in Griechenland Probleme zu bekommen, teilte Antonia nicht. Die Griechen würden ihn ohnehin für einen Griechen halten, er dürfe halt den Mund nicht aufmachen. Das könne so schwierig nicht sein, meinte sie. Dann gab sie ihm einen Kuss, erinnerte ihn an sein Versprechen, einen Schnurrbart wachsen zu lassen, und verabschiedete sich – ihre Schicht begann in einer Stunde.
Während Ali nachdachte, was er mit dem restlichen Tag anfangen sollte, spürten Demirbilek und Vierkant ihn auf und nahmen an seinem Tisch Platz. Demirbileks Wut war ungebremst. Er hatte keine Lust auf Förmlichkeiten.
»Ich gebe Ihnen genau eine Chance, zu antworten. Wo ist Ihre Schwägerin Ayfer Karaboncuk mit den Kindern?«, fuhr er den verdutzt dreinblickenden Mann an.
Das Gesicht des Kommissars zeigte eine Entschlossenheit, die angsteinflößend war.
»Komiser Bey …«,
begann er trotzdem in jovialem Tonfall.
Demirbilek schmetterte seine rechte Handfläche auf den Tisch. Antonias leeres Bierglas vibrierte und drohte zu Boden zu fallen, hätte Vierkant nicht reagiert und es aufgehalten. Demirbilek registrierte die Lippenstiftabdrücke auf dem Bierglas. Die ungewöhnliche orange-rote Farbe kannte er.
»Sie sprechen verdammt gut Deutsch, Herr Karaboncuk. Das hat mir Antonia gesagt. Sie seien auch freundlich, hat sie mir erzählt. Sie kennen sie ganz gut. Wahrscheinlich viel besser, als Sie es mir vorgestern geschildert haben.«
Ali Karaboncuk machte ein unschuldiges Gesicht. Dann lachte er: »Sie wissen doch, Herr Kommissar, manche Frauen lieben Türken über alles.«
Demirbilek lachte zurück, aber nur kurz. Dann stemmte er beide Hände auf den Tisch und stand auf.
»Gut, wenn Sie nicht reden wollen, fahren wir ins Präsidium.« Zu Vierkant gewandt, sagte er: »Legen Sie dem Mann Handschellen an, wir nehmen ihn mit.«
Ali Karaboncuk war so sehr auf Demirbilek fixiert, dass er Vierkants verblüfftes Gesicht nicht bemerkte. Sie kramte unter ihrer Jacke, um die Handschellen hervorzuholen, als Karaboncuk verstand, dass die Lage ernst war.
»Bitte setzen Sie sich wieder. Wollen Sie nicht was trinken?«, fragte er eingeschüchtert und hielt Ausschau nach der Kellnerin.
»Vorgestern haben Sie erzählt, wie Sie und Ihr Bruder, sagen wir mal, in den Genuss von Zuwendungen seitens Gül Güzeloğlus gekommen sind. Ich glaube Ihnen mittlerweile nicht mehr, dass Sie nichts mit der Erpressung zu tun haben.«
»Es ist aber so! Ich habe es Ihnen doch erzählt. Ich war in der Türkei, um meine Familie zurückzuholen. Doch sie wollten nicht mitkommen. Ist gerade eine schwierige Zeit. Mein Bruder hatte auch Ärger mit seiner Frau. Er hat in letzter Zeit ein paar Mal bei mir übernachtet. Wir haben Fußball geschaut. Da macht er den Fernseher aus und schleppt mich in den Puff. Eine Überraschung sollte es sein. Ich sollte mal auf andere Gedanken kommen. Ich wusste bis dahin nichts von Bülents Machenschaften.« Er trank von seinem Bier. »Ich habe dort keine Frau angerührt, so was mache ich nicht. Ich zahl nicht für …« Er sprach das Wort nicht aus, aus Rücksicht auf Isabel Vierkant, die interessiert zuhörte und Notizen machte.
Demirbilek schlussfolgerte, dass sich Ali Karaboncuk nicht um seine Schwägerin sorgte. Sie und die Kinder mussten in Sicherheit sein. »Mir ist das völlig egal, ob Sie in den Puff gehen und vögeln oder nicht vögeln«, wiegelte er Karaboncuks Anspruch auf moralische Unversehrtheit ab. »Jemand war in der Wohnung Ihrer Schwägerin und hat sie auf den Kopf gestellt. Wissen Sie, wer in der Wohnung gewesen sein könnte?«
Demirbilek prüfte Karaboncuks Gesichtsausdruck. Er schien ernsthaft überrascht zu sein.
»Gestern Abend rief mich Ayfer an. Ich habe mich über ihren Anruf gewundert. Das Gespräch war
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