Kommissar Pascha
sich die beiden Polizisten den Weg ins Haus. Auf dem Treppenaufgang und im zweiten Stock herrschte ein unübersichtlicher Trubel aus Ermittlern der Spurensicherung, Uniformierten, die den Tatort absicherten, und Nachbarn, die in den Gängen neugierig oder entsetzt herumstanden. Niemand sprach ein Wort. Die Stille war besorgniserregend.
»Was ist denn hier passiert?«, fragte Vierkant mit einem mulmigen Gefühl einen uniformierten Kollegen.
Demirbilek untersuchte die Wohnungstür. Sie zeigte keine Spuren gewalttätigen Eindringens.
»Da hat jemand Feuer gelegt. Halb so schlimm, weil Pius gleich die Feuerwehr verständigt hat. Zum Glück war niemand in der Wohnung«, erklärte der Kollege.
»Wie seid ihr überhaupt hereingekommen?«, fragte Demirbilek.
»Der Hausmeister hat aufgesperrt.«
»Gut, lass uns reingehen, Vierkant.«
Das Feuer hatte sich kaum ausgebreitet. Lediglich die Wohnzimmergarnitur war angekokelt; der verschmorte Polyesterüberzug stank erbärmlich. Für die Verwüstung der Wohnung hatte der Brandstifter allem Anschein nach vorher gesorgt. Das Wohnzimmerregal war komplett ausgeräumt. Der Hausrat lag verstreut herum. Jemand muss, man konnte fast meinen, verzweifelt nach etwas gesucht haben, dachte Demirbilek.
Vierkant öffnete indessen die Kleiderschränke im Schlafzimmer. Nach der Anordnung der Stapel Kleidungsstücke in den Regalen fehlte einiges. Sie ging weiter in das winzige Badezimmer. Auch hier dasselbe Bild der Verwüstung. Der Inhalt des Schränkchens von Medikamenten, Cremes und Shampoo lag auf den hellgelben Kacheln. Aber keine Zahnbürsten und Zahnpaste, registrierte sie.
Demirbilek durchsuchte parallel das Kinderzimmer. Ein Stapel Schulbücher interessierte ihn. Er fand in den Innenseiten der Buchdeckel den Schulstempel und rief über den Gang: »Vierkant, ruf in der Ichoschule an. Die ist doch gleich die Straße runter. Frag nach, ob die Karaboncuk-Kinder in der Schule sind.«
»Mach ich!«, rief Vierkant zurück und setzte sich auf den geschlossenen Toilettensitz. Über die Auskunft erhielt sie die Nummer des Sekretariats. Die Dame war sehr zuvorkommend, bat aber die Polizistin, persönlich vorbeizukommen, da sie ihren Dienstausweis sehen müsse, am Telefon könne sie nichts sagen. Vierkant versicherte, jemanden vorbeizuschicken. Dann ging sie in den Hausflur, um eine junge, uniformierte Kollegin damit zu beauftragen.
Als sie wieder in der Wohnung war, trat sie zu Demirbilek in die Küche. Das Fenster stand weit offen. Die Hängeschränke waren aufgerissen, Teller und Tassen lagen in Scherben auf dem Boden. Jemand ist mit großer Wut zu Werke gegangen, dachte Demirbilek. Er entdeckte den Alukessel mit der braunen Flüssigkeit des
çays
und den Teeblättern umgekippt auf dem Linoleumboden.
Demirbilek ging in die Hocke. Eine Lache hatte sich gebildet. Nach den Ausformungen der Flüssigkeit zu urteilen und der Anordnung der Teeblätter war jemand hineingetreten – ein Stiefelabdruck zeichnete sich ab.
»Meinst du auch, die Familie ist verschwunden?«, fragte Demirbilek mit nachdenklichem Blick.
»Ja. Aber nicht Hals über Kopf. Sie hatten Zeit, sich zu überlegen, was sie mitnehmen. Ich habe keinen Koffer gefunden, Ausweise und Papiere auch nicht, und Sie?«
»Nein«, antwortete Demirbilek.
»Zahnbürsten auch Fehlanzeige. Sehr merkwürdig. Vielleicht hat derjenige, der die Wohnung durchwühlt hat, die Familie mitgenommen?«
»Du meinst entführt?«
»Vielleicht hat er sie bedroht.« Sie blickte sich kopfschüttelnd in dem Chaos um. »Wer sich so aufführt.«
»Und die zwei Kinder?«, fragte Demirbilek ins Leere.
Da klopfte die junge Polizistin und gab die Information weiter, dass beide Kinder unentschuldigt in der Schule gefehlt haben. Das sei aber öfter passiert. Die Schulleitung habe heute Morgen die Mutter angerufen, sie aber nicht erreicht. Weitere Notfallnummern seien nicht hinterlegt. Demirbilek und Vierkant bedankten sich.
»Was bedeutet das?«, fragte Demirbilek.
Während Vierkant nachdachte, sprang der Kommissar plötzlich auf und eilte aus der Wohnung. Vierkant schaute ihm einen Moment mit offenem Mund nach. Dann folgte sie ihm.
Zwanzig Minuten später klopfte Demirbilek mit den Fingerknöcheln gegen Ali Karaboncuks Wohnungstür, bis einer der Nachbarn genervt auf den Gang trat: ein Mann in russischer Militäruniform mit Taktstock in der Hand und drahtlosem Kopfhörer um den Hals.
»Schaust du unten bei Wienerwald. Sitzt oft im Biergarten, Ali. Seine
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