Kommissar Pascha
schwören und jede Obduktion, die etwas anderes ergibt, anfechten. Gül wusste natürlich, dass ihr Vater im Sterben lag. Sie hat darunter gelitten, auch wenn sie ein schwieriges Verhältnis zu ihm hatte. Als sein Leibarzt hat Dr. Bower den alten Güzeloğlu zu Koryphäen in die USA und in die Schweiz begleitet. Aber da war nichts mehr zu machen. Die letzte Reise nach Istanbul war ihm aber so wichtig, dass er ihn mit Medikamenten vollpumpen musste. Es sollte seine letzte Reise sein, hat er gesagt, er wollte in seiner Heimatstadt bleiben, um die Hochzeit seiner Tochter mitzuerleben und dort zu sterben. Er kennt die Gründe nicht, aber gegen seinen ärztlichen Rat ist der todkranke Mann nach München zurückgeflogen. Der Rückflug hat ihm den Rest gegeben. Da hat niemand mehr nachhelfen müssen.«
»Das ist allerdings merkwürdig«, bemerkte Demirbilek. »Was war so wichtig, dass er nach München zurückgekehrt ist? Das kann nur mit seiner Tochter zusammenhängen.«
»Hast du den Arzt gefragt, wie das war mit … Also du weißt schon, ob sie noch unschuldig war«, druckste Vierkant herum.
»Klar«, erzählte Cengiz munter weiter. »Dr. Bower meinte, Gül habe ihrem Vater gegenüber behauptet, Jungfrau zu sein. Der Alte wollte das jedoch für den Vater des Bräutigams von einem Arzt bestätigt haben. Eine Kollegin von Bower sollte sie vorab untersuchen. Das geht wohl ganz einfach mit einem Spiegel. Dazu ist es aber nicht gekommen, weil Gül sich nicht anfassen lassen wollte. Sie ist fast Amok gelaufen, so wütend hat der Arzt sie noch nie erlebt.«
»Danke, Cengiz. Schick jemanden zu dem Doktor wegen des Protokolls«, sagte Zeki Demirbilek und schaute auf die Uhr. »Ich war auch nicht untätig.«
Der Kommissar deutete auf die Handtasche und das Kopftuch auf seinem Schreibtisch. »Das hat Gül in der Kantine vergessen.«
»Wie? Du hast sie gehen lassen? Einfach so?«, fragte Leipold erstaunt.
»Ich weiß, was ich tue, Pius, mach dir keine Sorgen«, stellte Demirbilek leicht entnervt fest. »Sie ist zum Rauchen raus und nicht wiedergekommen. Ich habe angerufen, sie ist zu Hause … Euch drei brauche ich jetzt als Zeugen. Meiner Ansicht nach tickt in der Handtasche eine Uhr. Das könnte eine Bombe sein. Hört ihr das auch?«
Die drei sahen sich verdattert an, bis Leipold als Erster kapierte und mit dem Kopf nickte. »Ich glaube, wir sollten da mal hineinschauen.«
»Guter Gedanke, Pius. Dann sind wir einer Meinung, dass Gefahr in Verzug ist. Wir öffnen die Handtasche. Hol mal dein tolles Büchlein und schreib mit, Vierkant. Du machst Fotos, Cengiz«, instruierte er seine Kolleginnen.
Cengiz holte aus ihrer Hosentasche das Smartphone heraus. Vierkant spurtete zu ihrem Schreibtisch und war umgehend mit ihrer Umhängetasche zurück. Mit einem Griff zog sie weiße Einmalhandschuhe heraus und reichte sie in die Runde mit einem fragenden Blick.
»Du übernimmst das, Pius«, sagte Demirbilek und lehnte sich mit verschränkten Händen hinter dem Kopf auf seinem Stuhl zurück. So, dachte sich der türkische Kommissar, hatte er es am liebsten. Er behielt den Überblick, sparte seine Ressourcen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Manche Kollegen sahen darin eine gewisse Tendenz zu herrschaftlicher Überheblichkeit. Demirbilek war das egal.
Leipold ging im selben Moment ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf. Er spürte, wie ausgesprochen wohl er sich in der für ihn neuen Rolle eines Teammitgliedes fühlte. Ohne sich über den Befehlston seines vorübergehenden Chefs aufzuregen, zog er die Latexhandschuhe über. Er fackelte nicht lange, öffnete Güls Handtasche und sah hinein. Nach einem Moment der Überraschung drehte er die Tasche um und schüttelte sie. Nichts polterte heraus. Gähnende Leere.
Demirbilek zog die Augenbrauen hoch.
»Sag mal, die verarscht uns doch!«, tobte Leipold und zog die Handschuhe wieder aus. »Das ist ja gar nichts drin! Wieso hat die eine Tasche, wenn gar nichts drin ist?«
Vierkant und Cengiz sahen sich an. Cengiz nickte, Vierkant holte aus ihrer Umhängetasche ein weiteres Paar Handschuhe und streifte sie blitzschnell über.
»Das nennt man Styling. So ein Täschchen am Arm wirkt einfach sexy. Und, Pius, es gibt Dinge, die eine Frau nicht herumliegen lässt«, erklärte Cengiz. »Du hättest die Tasche übrigens mit ein bisschen mehr Respekt anfassen können, du Banause. Das ist eine von Jil Sander. Von dem Geld, was die kostet, kannst du mindestens drei deiner
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