Kommissar Steen 01 - Unruhe
Briefträger«, bellte sie.
Er hielt ihr seinen Dienstausweis hin.
»Ich muss Sie bitten, wieder in Ihre Wohnung zu gehen«, sagte er mit dem liebenswürdigsten Lächeln, zu dem er imstande war.
»Zu wem wollen Sie denn?«, flüsterte sie.
Die Augen leuchteten vor Neugierde, aber er nickte nur und setzte seinen Weg die Treppe hinauf fort.
Im vierten Stock verlangsamte er die Geschwindigkeit und holte den Bund Universalschlüssel hervor.
Sonnes Tür befand sich auf der nächsten Etage, und Axel begriff, dass der Journalist das ganze Stockwerk für sich alleine hatte, denn vor der zweiten Tür stand eine riesige Palme.
Er lauschte an der Tür, meinte etwas zu hören. Hatte Sonne eine Katze oder einen Hund? Wohl kaum. Axel ging in die Knie und drückte vorsichtig den Briefschlitz auf.
Er sah in einen hell erleuchteten Flur. Links lag die Küche, rechts konnte er durch eine leicht geöffnete Tür so etwas wie ein Arbeitszimmer erahnen. Überall auf dem Boden lagen Papiere, und die Geräusche schienen von dort drinnen zu kommen. Er wartete. Dann erschien eine Hand am Ende eines Unterarms und wühlte in den Papieren herum, hob einige auf und ließ sie dann wieder fallen. Aber das war mit Sicherheit nicht Sonnes Arm.
Die Hand gehörte einer Frau, so viel konnte er ausmachen. Dann hatte er einen Wiedererkennungs-Flash. Die Frau erhob sich, und jetzt konnte er ihre Beine sehen, die in Jeans steckten, darunter schwarze Joggingschuhe. Sie warf drei Ordner auf den Boden, setzte sich und begann, darin zu blättern und Seiten herauszureißen.
Leise ließ Axel den Deckel des Briefschlitzes sinken, stand auf, streifte Plastikhandschuhe über und untersuchte das Schloss. Sie musste einen Schlüssel haben. Er fand das Werkzeug, von dem er meinte, es würde passen, schob es langsam hinein, drehte es nach links und rechts und lauschte auf die kaum hörbaren Klicklaute. Es dauerte eine knappe Minute, bis er die Tür öffnen konnte.
Die Geräusche aus der Wohnung waren verstummt.
Axel wartete. Er öffnete die Tür, trat in den Flur und war schockiert darüber, in Lailas Gesicht zu sehen. Das rote Haar war länger, die Augen sahen ihn mit einem offenherzigen Blick an, aus dem Hoffnung und Angst sprachen. Sie starrte ihn von einem großen Foto im Flur an, umgeben von gerahmten Zeitungsausschnitten mit kleinen Autorenfotos von Sonne, Fotos, die Sonne während der Straßenkämpfe und mit schusssicherer Weste und Helm irgendwo im Ausland zeigten, außerdem eine Urkunde über einen Journalisten-Preis – er registrierte, dass die Frau, die in dem Arbeitszimmer auf dem Boden gesessen hatte, von hinten auf ihn losging. Axel machte einen Schritt vorwärts und wirbelte herum, sodass sie von der Wucht ihres Schlags aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und mit dem Baseballschläger in der Hand zu Boden fiel. Sie hatte ihn an der Schulter erwischt, aber der Schmerz ertrank im Endorphinrausch. Sie war schnell wieder auf den Beinen und steuerte zielsicher auf die Tür zu einem anderen Zimmer zu, aber Axel bekam sie zu fassen. Er griff nach ihrer Schulter und warf sie mit solcher Kraft gegen einen Schrank, dass ihr die Luft wegblieb. Sie hob die Hände, bereit, sein Gesicht mit den Fingernägeln zu attackieren, als sie erkannte, wer er war. Oder vielleicht, wer er nicht war. Sie sank vor dem Schrank zusammen und schlang die Arme um sich, als wolle sie sich vor etwas schützen.
»Sie? Was in aller Welt tun Sie hier?«, fragte er.
Sie gab kein Wort von sich. Als er ihr vor sechs Tagen in der Wohnung in der Nørrebrogade begegnet war, hatten ihn ihr Kampfeswille und ihr Trotz überrascht. Eigenschaften, die in den Kreisen der jungen Leute, die des Öfteren Zusammenstöße mit der Polizei hatten, häufig zu finden waren, doch Liz schien anders zu sein. Als ob direkt unter der Oberfläche eine Lebensfreude und ein Enthusiasmus lägen, die sie nur mit Mühe zurückhalten konnte. Als sie in Lindbergs Wohnung auf sie gestoßen waren und sie hörte, Piver sei tot, war sie zusammengebrochen. Und seitdem hatte sich ihr Zustand augenscheinlich nicht verbessert. Die Haut war grau, die Augen blutunterlaufen und panisch, doch der Wille brannte immer noch in ihnen.
»Was haben Sie mit Sonne zu schaffen? Wonach suchen Sie?«
»Ich sage nichts.«
Axel ließ sich vor ihr nieder.
»Hören Sie zu: Das hier ist kein gewöhnliches Spielchen mit der Polizei, hier geht es um zweifachen Mord, und Sie tauchen überall da auf, wo Sie nicht sein sollten.«
Sie
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