Kommissar Steen 01 - Unruhe
die Tränen verteilten die Mascara auf ihren Wangen.
»Eines Tages tauchte er hier auf, Louie war in der Schule. Ich konnte es nicht ertragen, mir wurde ganz kalt. Als er von seinem Plan erzählte, war ich regelrecht verzweifelt. Er wollte, dass ich mit ihm gehe, irgendwo anders hin, wo wir unter Polizeischutz und unter neuem Namen leben konnten und was weiß ich nicht noch alles. Wir haben hier unser Leben, David, sagte ich. Das kann man nicht einfach ändern. Dann nehme ich dir Louie weg, sagte er. Du hast keine Wahl. Und er würde ihn bekommen, drohte er, weil er mit der Polizei zusammenarbeite.«
Sie saß auf einem Stuhl, die Hände zu Fäusten geballt, die Unterarme auf den Oberschenkeln, den Blick fest auf die Bodendielen geheftet.
»Aber das wäre doch nie passiert! So funktioniert das nicht.«
Sie schrie ihn mit geröteten Augen an.
»Kannst du dafür garantieren? Einen Scheiß kannst du! Vor zehn Jahren habt ihr ihn mir weggenommen, und jetzt kommt ihr her und gebt ihn wieder ab, einfach so, ohne uns zu fragen. Und du garantierst, dass alles in bester Ordnung ist? Was, wenn wir ihn gar nicht zurückhaben wollen? Was, wenn wir froh darüber sind, dass er aus unserem Leben verschwunden ist? Gibt es niemanden, der auf uns Rücksicht nimmt? Nein, niemanden.«
»Also hast du das selbst in Ordnung gebracht?«
Sie weinte, tiefe Schluchzer, die ihren ganzen Körper erzittern ließen. Ein, zwei Minuten lang. Dann sah sie ihn an.
»Ich hatte Angst, zum Teufel, Angst um meinen Sohn. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er wieder mit dieser Ungewissheit leben sollte. Er sollte nicht den Preis bezahlen für den ganzen Mist, den David gebaut hat. Nicht noch einmal.«
Axel sah nach draußen, die Dunkelheit war blau.
»Also habe ich Jakob angerufen und ihm erzählt, David sei hier gewesen und habe uns bedroht. Er werde sich darum kümmern, sagte er. Dann rief ich David an und habe mich mit ihm verabredet.«
»Wenn sie sich nur treffen sollten, um zu reden, warum hat Sonne ihn dann nicht selbst angerufen? Und warum auf dem Friedhof?«
Jetzt wehte Sand über die Wahrheit und bedeckte sie mit seinen feinen Körnern.
»Ich weiß es nicht, ich wollte wohl sichergehen, dass er kommt.«
»Wusstest du nicht, dass er unter polizeilicher Überwachung stand, dass er eine Heidenangst hatte, überhaupt sein Hotel zu verlassen, und dass man ihm überallhin folgen würde? Natürlich wusstest du das. Denn er hatte es dir erzählt. Und was machtest du? Du hast den Joker gezogen, von dem du wusstest, dass er stechen würde.« Die nächsten Worte stieß er hervor: »Unser Platz. Wo du um meine Hand angehalten hast. Bei der Kapelle. War es nicht so? Hast du das zu ihm gesagt?«
Sie wurde ganz ruhig. Bewegte sich nicht.
»So war es nicht«, sagte sie, aber er konnte sehen, dass sie wusste, dass es für sie keine Rückzugsmöglichkeiten mehr gab. Sie musste annehmen, es gäbe eine Aufnahme des Gesprächs.
»Warum habt ihr nicht schon früher danach gefragt? Warum habt ihr mich nicht ins Präsidium geholt, wenn ihr das Gespräch doch auf Band habt?«
Axel ignorierte ihre Fragen.
»Du wusstest, dass er mithilfe des PET hierhergekommen war, du wusstest alles, hast aber so getan, als wüsstest du nichts. Du hast gelogen und gehofft, dass du damit durchkommst.«
»Nein, das habe ich nicht, ich wusste fast nichts. Alles, was ich dir gesagt habe, stimmt. Ich habe nicht gelogen, ich wusste nicht, dass Jakob Amok laufen und ihn ermorden würde. Ich wollte nur, dass er mit ihm redet, ihn zur Vernunft bringt, glaub mir, Axel!«
»Das kann ich nicht.«
»Aber es ist wahr.«
»Wenn es wahr ist, warum hast du es mir dann nicht einfach gesagt?«
»Ich weiß es nicht, ich bin wohl ein Feigling, ich stand unter Schock.«
Das war natürlich eine Möglichkeit. Schock. Axel dachte an die ersten Gespräche zurück, wie sie an seine Gefühle appelliert hatte, und er hatte es als einen Ausdruck von Interesse und Begierde und nicht als das gesehen, was es wirklich war: eine Frau, deren Leben explodiert war. Und dann später, wie sie sich ihm gierig hingegeben hatte, wie sie sich an ihn geklammert hatte, wenn sie stöhnend und unter Tränen und Küssen kam. Er hatte es als Leidenschaft gedeutet und nicht gesehen, was es in Wirklichkeit war: Erleichterung darüber, dass die Bedrohung weiter und weiter davonglitt. Sie sah ihn mit einem Blick an, der Bäume fällen konnte.
»Axel, hör mir zu. Ich habe einen Fehler gemacht, das weiß
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