Kommissar Steen 01 - Unruhe
passten irgendwie nicht zusammen. Nachdem die heftigsten Zusammenstöße im Laufe des Abends abgeflaut waren, waren er und Vang als Patrouille für den oberen Teil des Friedhofs eingeteilt worden, der an die Nørrebrogade grenzte. Die meiste Zeit über hatten sie sich etwa fünfzig Meter von der Stelle entfernt aufgehalten, an der man das Opfer gefunden hatte, nur unterbrochen von den üblichen Kleinigkeiten wie Pinkeln gehen hinter den Büschen und Wasserholen, aber zwischen 23.00 und 3.00 Uhr hatten sie nichts gesehen. Dann waren sie von dem Einsatzwagen aufgesammelt worden, der kurz darauf die Leiche entdeckt hatte, und dann war das Präsidium alarmiert worden.
»Kennst du das Opfer?«
»Nein, ganz sicher nicht.«
»Ganz sicher?«
»Hundertprozentig. Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«
»Findest du das nicht auch merkwürdig, dass du uns einerseits erzählst, ihr hättet Schicht geschoben, geraucht, geredet und den Weg im Auge behalten, es andererseits aber unbestreitbare Beweise dafür gibt, dass in genau diesem Zeitraum ein Mann ermordet und an der Mauer abgelegt wurde? Ohne dass ihr einen Laut gehört habt?«
»Das mag sich vielleicht seltsam anhören, aber ich werde ja wohl nicht zum Mörder, nur weil ich nichts gesehen habe.«
»Niemand sagt, dass du ein Mörder bist. Warum solltest du jemanden ermorden? Du bist nicht einmal verdächtig, aber wir müssen wissen, was passiert ist. Und du warst ganz in der Nähe, als der Mord begangen oder zumindest die Leiche auf den Friedhof geschafft wurde. Du hast nichts gesehen. Und du kannst nicht erklären, warum. Wenn ihr ihn nicht gesehen habt, was habt ihr dann gemacht?«
Man sollte glauben, es sei schwieriger, Polizisten zu verhören, die in Verhörtechniken und allen Tricks geschult waren, als gewöhnliche Kriminelle, aber für Axel machte das keinen Unterschied. Hatte man die Leute erst einmal so weit, dass ihr Bewusstsein arbeitete, wenn Zweifel kleine Stücke von der in Stahl gegossenen Lüge oder der Verdrehung der Wahrheit abbrachen, dann reagierten die meisten gleich, und dann wusste man, wo man sie packen konnte. Ein flackernder Blick, ein nervöses Blinzeln, Falten, die sich glätteten, zur Schau getragene Gelassenheit, ein Kratzen und fahrige Unruhe im Körper, allesamt Zeichen dafür, dass sich ein Verdächtiger nach neuen Erklärungen umsah.
Jesper Groes wandte den Blick ab. Er suchte nach einem Ausweg. Ohne ihn zu finden.
»Wir haben nichts gemacht. Wir haben unsere Arbeit getan. Es war sehr viel los letzte Nacht, ich kann nichts dafür, dass wir ihn nicht gesehen haben.«
»Hör zu, ich werde alles tun, um dich da rauszuhalten, aber dann musst du mir auch etwas geben. Nicht ständig dieselbe Platte, dass du nichts gehört hast, dass du nichts gesehen hast und dass du nichts dafür kannst. Denn das kannst du schon. Du verschweigst etwas, und es ist ziemlich dumm von dir, mir nicht zu sagen, was es ist.«
»Ich habe alles gesagt.«
Es ärgerte Axel, dass er nicht weiterkam. Es gab etwas, das zu verheimlichen für Jesper Groes wichtiger war, als aus der Mausefalle herauszukommen, in der er saß. Etwas, das stärker war als der Vorwurf, er sei ein schlechter Polizist, sogar stärker als der Verdacht, er sei ein Mörder.
Es überraschte Axel nicht. Alle logen. Wegen irgendetwas. Großen wie kleinen Dingen. Und hatten die Leute erst einmal angefangen, war es schwer, sie zurück zur Wahrheit zu bringen. Jesper Groes war keine Ausnahme. Ganz egal, wie sehr Axel auch an seine Vernunft und an sein Pflichtgefühl appellierte, er drang nicht durch. Aber das würde schon noch kommen. Die Zeit fraß die Widerstandskraft. Und Jesper Groes und sein Kollege würden innerhalb des Korps isoliert sein, wenn sich herumsprach, dass sie während eines Einsatzes buchstäblich gepennt hatten und hinterher so gründlich abgebürstet worden waren, dass sie einen Beisitzer aus der Gewerkschaft dabei haben mussten.
Axel wechselte die Taktik.
»Okay. Unser Opfer wurde mit bloßen Fäusten zusammengeschlagen. Und du hast frische Wunden und Hautabschürfungen an den Fingerknöcheln. Woher stammen die?«
»Ich war in mehrere Auseinandersetzungen mit Demonstranten verwickelt, aber ich habe niemanden geschlagen. Wirmussten eine einigermaßen gewaltsame Festnahme eines Demonstranten vornehmen, der früh am Abend über die Mauer geklettert war.«
»Das werden wir überprüfen.«
»Habt ihr mit Kasper gesprochen?«
»Da sind andere gerade dabei. Warum? Bist du nervös
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