Kommissar Steen 01 - Unruhe
sagte, er habe es für uns getan, damit wir ein besseres Leben führen könnten und finanziell abgesichert wären, aber ich wollte doch nur ein ganz normales, ruhiges Leben mit meiner Familie. Ich war so wütend auf ihn.«
»Hast du ihn weiterhin besucht, während er im Gefängnis saß?«
»Ja, wegen Louie. Ich wusste ja nicht, wie es weitergehen würde, obwohl mir natürlich klar war, dass die Aussichten miserabel waren, aber ich wollte trotzdem versuchen, eine Beziehung zwischen ihnen herzustellen.«
Axel kannte die Besuchszellen im Vestre ebenso wie in einem guten Teil der anderen Gefängnisse im Land. Und er erinnerte sich an die unpersönlichen, klammen Räume, in denen die Inhaftierten ihre Frauen, Freundinnen oder Huren ein paar Stunden lang kurz und klein vögelten oder mit ihren Kindern aus schmutzigen Legosteinen, die das Gefängnis bereitstellte, Häuser bauten, bis sie wieder in ihre Zellen zurückkehrten.
»David war vom Gefängnis gezeichnet. Er hatte abgenommen, sah zermürbt aus, aber wenn Louie kam, lebte er regelrecht auf. Jedes Mal hatte er in der Gefängniswerkstatt etwas für ihn gemacht. Ich nahm Louie mit, gab ihn ab und wartete draußen, bis die Zeit um war. Die ersten Male weinte Louie, wenn er ihn besuchen sollte, aber es wurde besser, und irgendwann weinte er, wenn er wieder nach Hause sollte. Es half, dass David ihm jedes Mal ein Geschenk mitgab, das er selbst für ihn gemacht hatte.«
»Was geschah, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde?«
»Sie schoben ihn ab. Deine Kollegen setzten ihn in ein Linienflugzeug nach Skopje, und das war’s. Wir mussten bei einem unserer Besuche im Gefängnis Auf Wiedersehen sagen.«
»Das war im Jahr 2000. Wann hast du dann wieder von ihm gehört?«
»Er rief ein paar Mal an, aber ich wollte nicht mit ihm sprechen. Was sollte mir seine Sehnsucht nützen? Im Frühjahr 2001 kam es dort unten zu heftigen Kämpfen, und ein Journalist rief mich an, für den David als Dolmetscher gearbeitet hatte. Er kam hierher und übergab uns etwas Geld, das David verdient hatte.«
»Wann hast du wieder von David gehört?«
»Ein Jahr später, als er plötzlich in Kopenhagen auftauchte. Inkognito, sagte er und grinste. Er wollte Louie sehen, und ich habe es ihm erlaubt. Er redete die ganze Zeit davon, für ihn sei es das Allerwichtigste, dass es uns gut gehe. Er verbrachte einen Nachmittag zusammen mit Louie, und hinterher war Louie glücklich. Er konnte sich ja noch gut an ihn erinnern, und er sehnte sich nach einem Vater. Allerdings wurde daraus schnell Verzweiflung, aber er vergöttert ihn immer noch. Er hat alle Sachen, die David im Gefängnis für ihn gemacht hat, in seinem Zimmer auf einem Regal stehen. Und er erzählt allen, die es hören wollen, dass sein Vater einen sehr wichtigen Job im Ausland und keine Zeit hat, uns zu besuchen. Die nächsten Male, die er vorbeikam, schickte ich ihn weg und sagte, er dürfe Louie nicht sehen, weil der Junge nicht damit umgehen könne. David protestierte nicht. Außerdem hatte ich jemanden kennengelernt, den Louie allmählich zu mögen schien. Ich musste an meinen Sohn denken.«
Und an dich selbst, dachte Axel, der jedes Mal Zorn in sich aufsteigen fühlte, wenn dieses Thema zur Sprache kam.
»Das eine schließt das andere ja wohl nicht aus. Söhne haben ein Recht, die Wahrheit über ihre Väter zu erfahren, wie sollen sie sonst zurechtkommen und sich entwickeln?«
»Louie ist mit dem Bild, das er von seinem Vater hat, bestens zurechtgekommen und hat sich gut entwickelt, ohne zu wissen, dass sein Vater wegen Drogenhandels ausgewiesen wurde.«
»Hast du jemals den Namen Stanca Gutu gehört?«
»Nein, wer ist das?«
»Ich muss dich fragen, wo du in der Nacht zu Freitag zwischen null und zwei Uhr warst?«
»Du machst Witze.«
»Nein, leider nicht.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist doch unfassbar.«
»Wenn du wüsstest, in wie vielen Mordfällen der Täter aus dem unmittelbaren Umfeld des Opfers kommt, würde dich das nicht so sehr wundern.«
»Ich gehöre nicht zu seinem unmittelbaren Umfeld. Ich habe seit fast zehn Jahren nichts mehr mit David zu tun gehabt. Ich war hier. Bei meinem Sohn.«
»Hat er geschlafen?«
»Natürlich hat er geschlafen. Was denkst du denn?«
»Also hättest du für ein paar Stunden das Haus verlassen können, ohne dass er es gemerkt hätte.«
»Wovon zum Teufel redest du da? Man lässt doch nicht mitten in der Nacht sein Kind allein, auch wenn es schläft. Was, wenn etwas
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