Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kommissar Steen 01 - Unruhe

Kommissar Steen 01 - Unruhe

Titel: Kommissar Steen 01 - Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Stein
Vom Netzwerk:
passiert?«
    Sie sah erschöpft aus.
    »War das alles?«, fragte sie und warf ihm einen Blick zu, in dem sowohl Angst als auch verletzte Gefühle und nicht zuletzt ein Hilferuf zu lesen waren.
    »Geht es dir gut?«
    »Ich bin wütend, ich bin alles satt und ich bin durcheinander. Warum musste er sterben? Das hatte er nicht verdient.«
    Axel hatte lange genug mit Mord und anderen Verbrechen zu tun gehabt, um zu wissen, dass der Tod keine Rücksicht auf das nahm, was man verdient hatte. Er schwieg.
    Sie strich mit den Händen über ihr Kleid und biss sich auf die Unterlippe.
    »Hast du vor irgendetwas Angst?«, fragte er.
    »Nein, ist schon okay. Auf eine Weise ist es so tragisch, auf eine andere aber auch eine Art Schlussstrich unter etwas, dass nie aufgehört hat, an mir und Louie zu zerren. Was hätte sein können, aber nie war.«
    Axel stand auf und ging zum Fenster.
    »Das hört nicht auf, nur weil er tot ist.«
    »Das muss es aber.«
    Das Gespräch war zu Ende. Er bedankte sich, ging in den Flur, nahm seine Jacke und drehte sich zu ihr um.
    »Du darfst mich nicht falsch verstehen. Ich weiß, ich bin hart mit dir umgegangen, aber ich musste diese Fragen stellen.«
    Sie nickte mit einem resignierenden Lächeln. Sie verabschiedeten sich an der Treppe zur Haustür. Sie gab ihm die Hand, drückte sie so fest, dass es beinahe wehtat. Sie war warm und trocken. Statt des Schweißgeruchs, den er bei seinem gestrigen Besuch wahrgenommen hatte, registrierte er jetzt etwas undefinierbar Blumiges – Axel war sich nicht sicher, welcher Geruch ihm besser gefiel. Sie verschränkte die Arme unter dem Busen und rieb mit den Händen über die Oberarme, als ob sie friere. »Ruf an, wenn noch etwas ist«, sagte sie. Da war noch etwas, aber es hatte nichts mit dem Fall zu tun.

31
    War da etwas? War es der Busen? Dieser Blick? Warum bin ich so schwach? Fuck, dachte Axel und schlug zweimal auf das Lenkrad, als er wieder im Auto saß. Es hatte rein gar nichts mit ihrem Busen zu tun, ihre Erzählung hatte ihn an ganz anderer Stelle berührt.
    Das verlorene Kind. Im Stich gelassen. Ganz gleich, wie sehr Berichte über Frauen, die auf die eine oder andere Weise Väter daran hinderten, ihre Kinder zu sehen, sein Blut in Wallung brachten, so traf ihn das hier tiefer. Das Kind, das wegen der Erwachsenen unmenschliche Entbehrungen ertragen musste.
    Er versuchte, sich zu sammeln. Der Puls klopfte unangenehm an der Schläfe.
    Was habe ich von ihr erfahren? Dass Enver Davidi mehr Mensch als Drogendealer, Scheißkerl und Lügner war? Ging man einer Sache auf den Grund, kamen immer Menschen zum Vorschein, sowohl Opfer als auch Täter, und des Rätsels Lösung verbarg sich in der Regel in dem, was sie antrieb.
    Und was hatte Davidi angetrieben? Hatte er bei einem Drogengeschäft ganz groß Kasse machen wollen? Wollte er vielleicht gerne sein Kind wiedersehen? Vielleicht war es die Liebe zu Louie, die ihn angetrieben hatte – das stärkste Band, dases gab, und man ließ seine Kinder doch nicht im Stich. Oder doch?
    Er dachte an seine Eltern, an die Mutter, die wie ein milchweißer Nebelmorgen im März 1977 das Haus verlassen hatte, abgeholt von einem anderen Mann, den Axel später als Leif kennenlernte. Jedes zweite Wochenende.
    Er hatte am Fenster der Villa am Fortebakken gestanden und sie in einen Ford Taunus steigen sehen, der in einem weißen Nichts verschwand. Niemand hatte etwas gesagt. Er weinte nicht, erst viele Monate später, als ihm eines Nachts klar wurde, dass sie nie zurückkommen würde, dass er es niemals mehr erleben würde, wie sie in sein Zimmer kam, ihm eine Hand auf die Stirn legte und fragte, ob er etwas Schlimmes geträumt habe, während im Hintergrund die gedämpften Geräusche des Verkehrs am Grenaavejen rumorten. Sie war einundzwanzig Jahre jünger als sein Vater, und sie wäre bei der Geburt beinahe gestorben. Ein zerbrechliches Gemüt, hatte ihre Schwester über sie gesagt. Er dachte an seinen Vater, den eleganten, gut gekleideten Lebemann mit den festen Gewohnheiten und der noch festeren Hand, Oberarzt im Risskov Krankenhaus, Spezialist für Lobotomie und Mitglied im Stadtrat für die Konservativen. Er hatte nie richtig gewusst, worüber er mit Axel sprechen sollte. Als er herausfand, dass manche Kinder mit ihren Eltern tatsächlich wie Gleichberechtigte sprachen, war er schockiert – sie waren wie zwei Planeten, jeder in seiner eigenen Umlaufbahn. Nur drei Monate nachdem seine Mutter verschwunden war, hatte sein

Weitere Kostenlose Bücher