Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
hatte?«
»Ich glaube schon. Irgendwas hat sich da angebahnt. So eine Art Abenteuer. Aber sie kannte den Mann nur aus Briefen.«
»Also der große Unbekannte?«
»So ungefähr. Sie hat ein ziemliches Geheimnis draus gemacht. Erzählt, es sei alles nur ein Spiel. In seinen Briefen hat er sie aufgefordert, verrückte Sachen zu machen. Sie sollte sich zu einer bestimmten Uhrzeit in einer bestimmten Kleidung in ein Café setzen oder in den Park gehen. So etwas in der Art. Alles war irgendwie kindlich, spielerisch.«
»Sie meinen also, die beiden sind sich nie direkt begegnet, aber er hat sie beobachtet?«
»Ich fand es auch merkwürdig, aber Roxanne war ganz begeistert. Es waren keine perversen oder gefährlichen Sachen, wenn Sie darauf hinauswollen. Es hörte sich vollkommen harmlos an. Wahrscheinlich war es wieder so ein Künstler. Sie liebte solche verspielten Menschen.«
»Und gibt es irgendeine Spur zu diesem ›Spieler‹?«
»Haben Sie seine Briefe nicht in ihrer Wohnung gefunden?«
»Wir haben noch nicht danach gesucht.«
»Meinen Sie denn, ich hätte mir Sorgen machen müssen, als sie mir von den Briefen erzählte?«, fragte Frau Seebauer, und er sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete.
»Ich weiß es nicht«, sagte er, dann trank er brav seinen kalten Kaffee aus und verabschiedete sich.
Als er ins Präsidium kam, war Fischer gerade auf dem Sprung in den Feierabend und folgte dem Hauptkommissar nur widerwillig zurück ins Büro.
»Wie ist der Stand?«, fragte Fischer.
»Ein paar neue Verdächtige«, sagte Meißner. »Einen cholerischen Ehemann, einen verflossenen Liebhaber und einen Briefe schreibenden … Spanner?«
»Aha?«, gab Fischer zum Besten. »Aber vergiss bei deiner illustren Runde den Bauunternehmer nicht, der seine Frau vertrimmt hat und jetzt auf jeden Fall verhindern will, dass eine Journalistin das an die große Glocke hängt.«
»Hast du diesen Schauspieler ausfindig machen können, von dem ich dir am Telefon erzählt habe?«
»Du meinst Grünberg? Bis jetzt noch nicht. Aber ich kümmere mich morgen drum. Jetzt muss ich wirklich Feierabend machen, ich hab noch eine Verabredung.«
»Soso«, sagte Meißner und sah auf die Uhr. Es war fast sieben.
»Und was machst du heute noch so?«, fragte Fischer im Hinausgehen.
»Ich fahre nach München, ins Theater im ›Fraunhofer‹.«
»Aha«, meinte Fischer, für den der Name wahrscheinlich ungefähr genauso retro klang wie WG , APO , Virginia Woolf und Dario Fo. Der Hauptkommissar sah ihm an, dass er sich fragte, wie man heute noch immer auf diese Sachen abfahren konnte. Wo es doch in Ingolstadt so nette Kneipen und Musikclubs und das Audi-Forum mit seinem anspruchsvollen Kulturprogramm gab. Aber Meißner brauchte die Arroganz der Jugend gar nicht, um sich alt zu fühlen. Das ging auch ohne. Was wusste einer wie Fischer schon von den wilden Siebzigern und Achtzigern oder von freien Theatern?
Auf dem Weg zur Autobahn machte er bei einem türkischen Restaurant halt. Allein zu essen war durch und durch trostlos, aber in einem Lokal schien es ihm erträglicher als in seiner leeren Wohnung. Man konnte immerhin den anderen Gästen oder dem Personal zuhören. Außer Merhaba verstand Meißner kein Wort Türkisch, versuchte sich aber vorzustellen oder auszudenken, worüber die Anwesenden sprachen: über das UEFA -Cup-Spiel am Vortag, über die jüngsten Unruhen in den Kurdengebieten, vielleicht unterhielten sie sich auch nur über die letzte Mieterhöhung, die Benzinpreise oder die Aprikosenernte in Anatolien, wer wusste das schon? Vielleicht war Türkisch gar nicht mal so schwer, aber auf seiner Prioritätenliste stand es einfach nicht ganz oben.
Nach dem süßen Mokka bezahlte er, fuhr los und nahm die Auffahrt Ingolstadt-Süd. Nach dem Donau- und dem Paartal wurde die Landschaft hügeliger. Hopfengärten flogen rechts und links der Autobahn vorbei. Die Pflanzen waren bereits abgeerntet. Nur das enthäutete Skelett des Rankgerüstes war übrig geblieben. Die in den Boden gerammten Holzpfähle und die dazwischengespannten Drähte standen verwaist, zwischen den Ackerfurchen wuchs frisches Gras. Meißner erreichte die Raststätte Holledau, häufiges Einsatzgebiet der Pfaffenhofener Polizei. Hier kontrollierten sie gerne Lkws und Pkws, Reisende aus Nicht-Schengen-Staaten, die im Verdacht standen, in Deutschland einer illegalen Beschäftigung nachzugehen, etwa in der Gastronomie oder auf dem Bau, und außerdem solche wie die drei Kolumbianer, von
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