Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
Meißner, schon auf dem Weg zur Tür: »Wo waren Sie vorgestern Nachmittag zwischen zwei und vier?«
»Auf dem Weg nach München, zu einem Symposion.«
Er begleitete sie hinaus. Im Warteraum saßen ein Mann und eine Frau. Zwischen ihnen zwei leere Stühle. Freyberg ging auf sie zu.
»An dir ist ja wirklich ein Psychologe verloren gegangen«, sagte Fischer im Treppenhaus. »Aber wie deutest du das jetzt mit den Steinen?«
»Er hat ein paar wichtige Satelliten ausgelassen, diesen Grünberg zum Beispiel.«
»Der gehört auch nicht zur Familie. Soll ich ihn wegen des Alibis noch einmal anrufen? So können wir das nicht überprüfen.«
»Mach das. Und dann sieh auch zu, dass du diesen Grünberg ausfindig machst. Ich setze dich beim Präsidium ab und fahr dann zu den Töchtern raus.«
Das Haus der Freybergs war eine etwas heruntergekommene Gründerzeitvilla mit verwildertem Garten. Der Lack blätterte von den Möbeln, die auf der Terrasse standen, an der Fassade kletterte wilder Wein bis unters Dach. Am Gartentor war Meißner der Duft des Geißblatts in die Nase gestiegen, das die wuchernde Hecke überrankte. Das Ganze sah ein bisschen verwunschen aus, man hätte es auch vernachlässigt nennen können, je nach Blickwinkel und Sympathie des Betrachters. Das Anwesen strahlte den Charme einer Hippie- WG aus, wenn man das mochte. Fehlte nur noch der bemalte VW -Bus in der gekiesten Einfahrt, mit »Peace«- oder »Atomkraft? Nein danke«-Aufkleber.
Der Hauptkommissar war nicht besonders empfänglich für diese Art von Zauber. Ihm reichte schon seine kleine Zweizimmerwohnung. Vor einem Haus mit Garten hätte er kapituliert. Er konnte sich gut vorstellen, wie viel Arbeit es machte, alles einigermaßen in Schuss zu halten, und für ihn sah es so aus, als habe Freyberg diesen Kampf aufgegeben.
Als Meißner klingelte, schlug ein Hund an. Eine Mädchenstimme zischte ein scharfes »Aus!«, dann ging die Tür auf, ein Labrador sprang heraus und rannte zum Tor. Er sprang hoch, streckte die Schnauze durch das Gitter und winselte den Hauptkommissar an. Meißner fuhr dem Tier mit der Hand über den Kopf, während es versuchte, seine Hand abzuschlecken. Er zog seinen Ausweis und hielt ihn so hoch, dass das Mädchen ihn sehen konnte.
»Kommen Sie rein. Das Tor ist offen. Nell tut Ihnen nichts!«
Tat sie aber doch. Als Meißner das Tor öffnete, sprang der Labrador an ihm hoch und hieb ihm die Pfoten samt Krallen in die Oberschenkel. Er schob den Hund weg, der ihm bellend hinterherlief.
»Stefan Meißner, Kripo Ingolstadt.«
»Ich bin Pia«, sagte das Mädchen und ließ ihn ins Haus. Der Hund blieb draußen im Garten.
»Sie sind wegen meiner Mutter hier?«
»Ja«, sagte Meißner.
Sie nickte.
»Es tut mir sehr leid, was mit Ihrer Mutter passiert ist.«
»Sie können mich ruhig duzen.«
»Hatten Sie, ich meine, hattest du viel Kontakt zu ihr, seit sie …?«
»Seit sie ausgezogen ist? Na ja, nicht besonders viel. Meine Mutter hat unsere Familie zerstört, verstehen Sie?«
»Hast du sie öfter besucht?«
»Nein, eher selten. Und hier draußen war sie auch schon lange nicht mehr. Es geht hier alles vor die Hunde. Mein Vater ist die meiste Zeit in der Arbeit, und meine Schwester ist mit ihren Freundinnen und Freunden unterwegs. Aber ich spiele hier nicht die Hausfrau! Soll doch alles vergammeln!«
Meißner fiel auf, dass der Flur schon länger nicht gesaugt worden war. Kleine Bällchen von schwarzen Hundehaaren schwebten wie auf einem dünnen Luftkissen über das Parkett. Der Anblick hatte fast etwas Poetisches, war aber auch ein triftiger Grund, warum Meißner sich nie einen Hund anschaffen würde. Höchstens wenn er weit draußen auf dem Land wohnte und sich eine Putzfrau oder einen Putzmann leisten könnte.
Im Wohnzimmer stand ein altes Klavier.
»Spielst du?«, fragte Meißner.
»Meine Schwester.«
»Ihr geht beide noch zur Schule?«
»Ich mache nächstes Jahr Abi. Meine Schwester ist in der Elften.«
»Ist sie auch da?«
»Nein, sie ist bei einer ihrer Freundinnen, Julia oder Sofie. Dabei ist sie heute dran, mit ihrem Köter rauszugehen.«
»Ist das ihr Hund?«
»Meiner ist es jedenfalls nicht.«
»Wann hast du deine Mutter das letzte Mal gesehen?«
»Vor zwei Wochen. Sie hat mir bei meiner Facharbeit geholfen. Hat sich ja mit Recherchen ausgekannt.«
»In welchem Fach?«, fragte Meißner.
»Geschichte.«
»Und wie war das Verhältnis deiner Eltern untereinander?«
»Seit sie sich nicht mehr sahen, haben
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