Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
wissen wir noch nicht. Sie freut sich jedenfalls sehr auf das Kind. Ich mich übrigens auch.«
»Haben Sie Kinder?«, fragte Meißner.
»Hat sich nicht ergeben«, sagte sie. »Und Sie?«
»Ich komme schon mit mir selbst nicht immer klar. Heute Abend bin ich übrigens im Stadttheater in Ingolstadt.«
»Allein?«, fragte sie.
»Mit Kollegen. Ein Einsatz, leider. Von Emilia Galotti werde ich wohl nicht so viel mitbekommen.«
»Hört sich trotzdem spannend an.«
»Wissen Sie, ob Viktor während seiner Zeit in Ingolstadt einen Freund oder Freunde am Theater hatte?«, fragte Meißner, einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Er hatte schon Freunde dort, natürlich. Einer war dabei, so ein älterer Kollege, der wollte ihn wohl irgendwie unter seine Fittiche nehmen.«
Meißner horchte auf.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein. Viktor hat mir nur von ihm erzählt. Der Typ war ihm irgendwie nicht ganz geheuer. Er hatte den Verdacht, dass er schwul sein könnte und deshalb einen engeren Kontakt zu ihm suchte.«
»Ein Schauspieler?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Könnte auch eine andere Person aus dem Theater gewesen sein.«
»Meinen Sie, dieser Jemand könnte auch Roxanne Stein gekannt haben?«
»Suchen Sie ihren Mörder etwa im Theater?«
»Wäre das denn so abwegig?«
»Na ja, es heißt doch, dass Gott in den Künstlern träumt.«
»Ach so? Den Spruch habe ich noch nie gehört. Aber vielleicht hat Gott ja auch ab und zu einen Alptraum. Und was ist mit uns Normalos, in uns träumt Gott nicht?«
»Nein, in den übrigen Menschen schläft er.«
»So was Ähnlichen hab ich mir schon gedacht. Ich muss jetzt los. Was haben Sie für den Cappuccino bezahlt?«
»Es war mir ein Vergnügen, Herr Hauptkommissar.«
Sie verabschiedeten sich auf dem Gang. Meißner steuerte den Ausgang an, während Ludmilla noch einmal nach Viktor sehen wollte, ehe sie ging.
Der Hauptkommissar fuhr zurück nach Ingolstadt. Auf dem Weg zu seiner Wohnung blieb er bei Minimal stehen, der über Nacht zu einem REWE -Markt geworden war. Statt Rot-Grün herrschte jetzt nur noch Rot vor, und das Logo sah auch irgendwie anders aus, aber er konnte sich an das Minimal-Logo schon gar nicht mehr erinnern. Aus den Augen, aus dem Sinn. Hier passte wenigstens einmal das Sprichwort, das er ansonsten hasste wie die Pest. Weil es einfach nicht stimmte, weder auf Menschen noch auf andere Dinge bezogen. Mit Ausnahme von Minimal vielleicht. Innen sah der Supermarkt so aus wie zuvor, wenigstens das.
Zu Hause machte er sich einen Teller tiefgefrorene Shrimps »provenzalisch« mit Salat und Weißbrot und las dazu die Zeitung. Kein Artikel über den Mord in der Beckerstraße. Er verkniff sich das Glas Weißwein, nach dem er und die Meeresfrüchte sich sehnten, und trank brav sein Mineralwasser. Er musste wach und nüchtern bleiben.
Um halb eins fuhr er ins Präsidium. In den Cafés der Innenstadt standen noch immer die Tische und Stühle im Freien, der Sommer schien kein Ende zu nehmen. Die Menschen kamen vom samstäglichen Stadtbummel zurück, viele Radfahrer waren unterwegs. Auf der Schlosslände, fast schon in Höhe des Stadttheaters, kreuzte eine Radfahrerin vor ihm die Straße. Ihr mittellanges blondes Haar war zu einem Zopf geflochten, eine Jeanslatzhose spannte sich über ihren runden Bauch. Erst als er sie überholte, erkannte er sie. Es war Carola, seine Exfreundin, und sie war eindeutig schwanger! Siebter oder achter Monat. Seine Carola! Die Extrem-Joggerin, die niemals Kinder haben wollte, schon wegen der Fitness und um ihren makellosen Körper nicht zu ruinieren.
Er nahm den Fuß vom Gas und betrachtete sie im Rückspiegel. Wann genau hatten sie sich getrennt? In der Woche nach Fasching, Ende Februar. Vor fast sechs Monaten! Konnte man in nur sechs Monaten derartig hochschwanger werden? Das war doch unmöglich! Er zögerte. Er konnte doch jetzt nicht einfach weiterfahren, so etwas passierte einem doch nicht täglich. Was sollte er jetzt tun? Da hörte er hinter sich erst Bremsen quietschen, dann ein vernehmliches Krachen. Sein Audi machte einen Satz wie ein bockiges Pferd, er stand halb in der Einmündung der nächsten Querstraße, und der Motor war abgestorben. Carola fuhr auf dem Rad an ihm vorbei, warf ihm einen besorgten Blick zu, blieb aber nicht stehen. Natürlich musste sie ihn erkannt haben. Ihn und sein Auto. Das Kennzeichen war doch eindeutig. Aber sie drehte sich einfach weg und fuhr weiter. Beim Einbiegen in die nächste Querstraße sah Carola
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