Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
unterwegs. Es würde wieder ein schöner Spätsommertag werden. Die A 9 war selbst am Samstagvormittag gut befahren. Holländer, Schweden, Tschechen, Polen, alle Nationalitäten waren hier unterwegs. Trotzdem kam Meißner gut durch. In München bog er am Parzivalplatz rechts ab zum Schwabinger Krankenhaus. Grünberg, so erfuhr er an der Pforte, war von der Intensiv- in eine Wachstation verlegt worden.
Meißner meldete sich bei der Stationsschwester und erkundigte sich nach dem Zustand des Schauspielers.
»Sind Sie ein Verwandter?«, wollte die Schwester wissen.
Meißner zückte seinen Ausweis.
»Den Weg hätten Sie sich sparen können. Herr Grünberg hat mittelschwere bis schwere äußere und innere Verletzungen. Wir haben ihn zwar gestern wieder zusammengeflickt, aber er ist noch immer stark narkotisiert, nicht ansprechbar.«
»So etwas wie ein künstliches Koma?«
Sie nickte. »Morgen sieht es vielleicht schon anders aus, wenn alles gut geht.«
»Aber er wird doch durchkommen?«
»Ja, er hat Glück gehabt.«
»Können Sie mir sagen, wann das gestern genau passiert ist?«
Sie blätterte in ihren Unterlagen. »Der Notarzt kam um zwölf Uhr dreißig zur Unfallstelle, U-Bahn Odeonsplatz. Eingeliefert wurde er hier um zwölf Uhr neunundfünfzig.«
»War schon jemand bei ihm, ich meine, hatte er schon Besuch?«
»Eine Dame ist gerade gekommen«, sagte sie.
Meißner gab ihr seine Karte. »Rufen Sie mich doch bitte an, wenn Herr Grünberg wach ist.«
»Worum geht’s denn eigentlich? Und warum kümmert sich die Kripo Ingolstadt um ihn?«
»Wir ermitteln in einem Mordfall.«
»Na ja«, sagte sie, »der Grünberg läuft Ihnen bestimmt nicht weg. Auf potenzielle Selbstmörder passen wir besonders gut auf. Wollen Sie mit der Psychologin sprechen, wenn Sie schon mal hier sind? Sie wird ihn mitbetreuen, solange er hier ist.« Sie schrieb ihm eine Telefonnummer auf. »Frau Hohenester hat am Wochenende Rufbereitschaft.«
Als der Hauptkommissar an die Tür zum Wachraum klopfte, öffnete ihm Ludmilla.
»Hallo«, sagte sie leise und ging zurück an Viktors Bett. Grünberg hatte Schrammen und Blutergüsse im Gesicht und trug einen mächtigen Kopfverband. Seine Augen waren geschlossen, der linke Arm eingegipst. Um sein Bett standen eine Reihe von Maschinen, die Atem- und Herzfrequenzen sowie die Hirnströme überwachten. Unter der Decke zeichnete sich ein Gipsbein ab. Es war ebenfalls das linke.
»Ich bin so froh, dass er überlebt hat«, flüsterte Ludmilla, als hätte sie Angst, Viktor aufzuwecken.
»Hätten Sie ihm einen Selbstmord zugetraut?«
Sie schüttelte den Kopf. »Einen Selbstmord nicht. Und schon gar keinen Mord, wenn das Ihre nächste Frage ist. Viktor ist ein feiner Kerl, einer, der sein Unglück eher in sich hineinfrisst. Der schreit nicht rum oder wird wütend. Dafür hat er die Bühne. Eine Gewalttat passt überhaupt nicht zu ihm.«
»Schön und gut, aber was können wir schon über einen anderen Menschen wissen, über das, wozu er fähig ist, wenn …« Er winkte ab. Einfach grauenhaft, was er hier daherfaselte.
»Wenn was?«, fragte Ludmilla interessiert nach.
»Na, wenn die Frau, die er liebt, ihn zurückweist. Wenn sie mit dem Nagel ihres kleinsten Fingers die Seifenblase zum Platzen bringt, in die er seine Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft hineingeträumt hat.«
Ludmilla lachte leise auf und fuhr mit der Hand durch die Luft über seinem Kopf.
»Tatsächlich«, sagte sie. »Alles voller Seifenblasen hier. Aber Viktor lebt, und das ist das Wichtigste. Gehen wir jetzt zusammen einen Kaffee trinken?«
Sie verließen das Zimmer.
»In der Cafeteria oder draußen, in der bösen Welt?«, fragte Ludmilla.
»Ich möchte noch mit der Psychologin sprechen, die sich in der nächsten Zeit um Viktor kümmern wird.«
»Also Cafeteria. Ich geh schon mal voraus.«
Er sah Ludmilla nach, wie sie den Gang entlangging. Die Sohlen ihrer flachen Schuhe quietschten auf dem blank gebohnerten Linoleum. Ihre Jeans saß lässig auf den schmalen Hüften, die kurzen Haare unterstrichen das Knabenhafte ihrer Erscheinung, doch ihr weiblicher, federnder Gang rückte das Bild wieder zurecht. Ihr Becken war etwas nach vorne gekippt, und die Hüfte schwang bei jedem Schritt so weit aus wie bei den Models auf dem Laufsteg. Das muss sie gelernt haben, dachte Meißner fasziniert. Mit so einem Gang kommt man nicht auf die Welt.
Beim dritten Klingeln ging die Psychologin ans Telefon.
»Sie haben mich aus der Dusche
Weitere Kostenlose Bücher