Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
sich noch einmal nach ihm um, erschrocken, ängstlich, vielleicht auch ein bisschen schuldbewusst, dann war sie weg. Das Ende ihres blonden Zopfs auf der offenen grauen Sportjacke war das Letzte, was Meißner von ihr sah.
Vor seinem Audi stand ein brüllender und wild gestikulierender junger Mann, der gegen das Wagenfenster hämmerte. Der Hauptkommissar holte tief Luft und stieg aus.
»Wieso steigst du bloß auf freier Strecke ohne Grund auf die Bremse? Hast du vielleicht keinen Innenspiegel. Denkst wohl, du bist ganz allein auf der Straße, wie?«
Meißner fiel auf, dass der Typ ihn duzte, und das passte ihm gar nicht. Er ging um das Auto herum, um sich den Schaden zu besehen. Stoßstange und Kofferraum waren eingedrückt, beide Rückscheinwerfer im Eimer. Die Vorderfront des anderen Wagens, ein nagelneuer VW -Touran, silbermetallic, sah auch nicht besser aus.
»Wie regeln wir das jetzt?«, wollte der andere wissen.
»Ich rufe meine Kollegen an«, sagte Meißner und zog schon das Handy aus der Tasche.
Der andere pfiff durch seine Zahnlücken und tat, als ginge ihm ein riesiges Licht auf. Zumindest war er erst einmal ruhig. Für Meißner war klar, dass er die Besprechung um eins vergessen konnte. Er rief Marlu an, um ihr zu sagen, dass sie ohne ihn beginnen sollten. Er käme dann nach, aber sie sollte unbedingt auf ihn warten.
Wieder dachte er an Carola. Seit ihrer Trennung hatte er sie noch zweimal gesehen. Das zweite Mal hatte sie nur schnell ihre restliche Post abgeholt und ihm ihren Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt. Da musste sie schon gewusst haben, dass sie schwanger war. Er setzte sich ins Auto und kramte im Handschuhfach nach den Versicherungsunterlagen.
Die Trennung. Für ihre Trennung gab es zwei Versionen. Eine offizielle und eine inoffizielle. Die offizielle Version lautete: Sie hatten sich nach fünf Jahren getrennt. Einfach so. Das klang irgendwie erwachsen, gleichberechtigt, in gegenseitigem Einverständnis, bla, bla, bla. Die inoffizielle und etwas realistischere Version lautete: Carola hatte sich von ihm getrennt. Und er hatte ihr einen Grund – oder einen Anlass, wie Alba Freyberg so schön gesagt hatte – dafür gegeben. Carola behauptete, er habe sie betrogen, und er konnte ihr nicht widersprechen. Es war auf einem Faschingsball passiert. Eine Haremsdame aus Großmehring. Carola war bekennender Faschingsmuffel und mit ihren Freundinnen an dem Abend zu ihrem Flamenco-Kurs gegangen. Er hatte zu viel getrunken und die Dame nach Hause begleitet, warum, wusste er hinterher auch nicht mehr. Dann war er auf ihrer Couch eingeschlafen. Auf jeden Fall hatte er die Nacht bei ihr verbracht. Und während er auf dem Weg nach Hause noch überlegte, was er Carola erzählen sollte, zog sie ihm sofort, als er zur Tür hereingekommen war, ohne große Umstände die Wahrheit aus der Nase. Für ihn war es okay, gleich reinen Tisch zu machen. Sie anzulügen war sowieso nicht in Frage gekommen. Allerdings passierte, womit er nicht gerechnet hatte. Carola war sehr gekränkt und beleidigt und zog sich vor ihm zurück. Schließlich betrog sie ihn mit einem Bekannten aus ihrem Lauftreff. Aber was als Racheakt gedacht war, wuchs sich zu etwas ganz anderem aus. Nach vier Wochen zog sie bei Meißner aus und bei Roland, dem Läufer, ein. Sie wohnte immer noch bei ihm, und nun war sie auch noch schwanger.
Danach hatten sie noch ein paar Mal wegen irgendwelcher Rechnungen telefoniert. Aber sie war weg und kam nicht mehr zurück. Und jetzt fuhr sie diesen Bauch auf ihrem Fahrrad spazieren. So schnell konnte es also gehen. Natürlich, Carola war Ende dreißig, sie hatte nicht mehr alle Zeit der Welt, aber Kinder waren in ihren fünf gemeinsamen Jahren überhaupt nie ein Thema gewesen.
Endlich trafen die Kollegen von der Streife ein. Winter füllte das Unfallprotokoll aus, und Buchberger machte die Fotos.
Der Unfallgegner hatte sich noch immer nicht abgeregt. Er sei nicht schnell gefahren, er habe nur nicht damit gerechnet, dass der vor ihm einfach »den Stempel reinhaue«, ganz ohne Grund. Sein Auto war bestimmt Vollkasko versichert.
Aber was war in Wirklichkeit passiert? Er hatte Carola gesehen, im hochschwangeren Zustand. Er verpasste gerade seine Besprechung, und sein Audi war ramponiert. Nachdem Meißner seinen Wagen zur Seite gefahren hatte, half er den Kollegen, die Glassplitter an die Bordsteinkante zu kehren.
Kurz vor halb drei traf er endlich im Präsidium ein. Holler und Fischer waren schon weg, aber
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