"Kommst du Freitag"
Journalistenschule, die gern eine Spur zu bissig wurde in meiner Gegenwart, platzte es einmal in breitem Pfälzisch heraus: „Gibt’s den überhaupt, deinen Paul?“
Milla wenigstens zweifelte nicht an seiner Existenz, drängte aber, den Mann in meinem Leben endlich mal kennenzulernen.
Es gab uns, aber für neue Freunde und Kollegen in unserem Leben gab es uns nicht. Wir hatten für sie kein Gesicht, kein Lachen, keinen Witz. Wir hatten für die Neuen in der Stadt des anderen keine Bedeutung. Und zwischen 23 und 33 kommen viele Neue hinzu. Für die existierten wir als Paar nicht. Nicht gleich jedenfalls. Das stört die Welt nicht in ihrem Lauf, aber für ein glückliches Paar ist es mit der Zeit ein merkwürdiger Zustand. Manchmal fühlt man sich halb. Ich wollte aber nicht halb sein, denn ich war es ja nicht.
Als wir in der Journalistenschule das Fotografieren üben mussten, so richtig, mit Film und Belichten, drückte ich zu Hause auch mal auf den Auslöser, um den Schwarz-Weiß-Film zu füllen. Da mir jedes Talent dafür fehlte, das gut zu machen, sah Paul auf dem Bild besonders beknackt aus. Er stand vor seiner ersten Kneipe, klein und kaum zu erkennen, das Grinsen breit, das Gesicht viereckig, die Augenschattendas alles überlagernd und der dunkle Pulli ausgerechnet aus Flies. Er sah aus wie ein Hybrid aus gütigem Lehramtsstudenten, passioniertem Vegetarier und weltverbesserndem Fahrradwerkstattbesitzer. „Nett“, sagte Milla mit einem tapferen Lächeln, „er sieht echt nett aus.“
Nett! Paul war schön, böselustig, verliebt, verrucht, sein Verstand messerscharf, seine Argumentation unbestechlich, seine Humor unerhört, seine Figur das perfekte V, die Augenringe waren unverzichtbar, seine Launen so irrational wie passioniert. Aber er war doch nicht NETT!
Ob das die stutenbissigen Marias dieser Welt je erführen, war mir egal, und in den ersten Jahren nahmen wir in Kauf, dass auch wichtige Menschen wie Milla und Jonas wenig bis gar nichts von uns wussten. Denn als Paar mit wenig Zeit füreinander macht man sowieso beständig Rechnungen auf: Wollen wir jemanden treffen und das Risiko eingehen, einen mittelmäßigen, holprigen Pärchen-Kennenlern-Abend zu haben (Paul, jedenfalls, denkt gern vom worst case her). Oder wollen wir für uns sein und damit keinesfalls gelangweilt (und sei es, weil wir streiten, bis die Teller fliegen)? Schwieriger: Fahren wir Pfingsten nach Jena zu der garantiert ausufernden Dreitages-Party mit viel Gesang, noch mehr Getränk, aber garantiert null Gelegenheit zum Sex? Oder lassen wir zwei uns durch Berlin treiben und tauchen Sonntagnachmittag fröhlich in die Buntkarierten ab, um erst zum „Tatort“ wieder aufzutauchen? (Okay, fahren wir nach Jena. Muss ja.)
Leicht fällt die Entscheidung für die Zweisamkeit und gegen die gesellschaftliche Herausforderung, sobald sie keine ist. Wenn nämlich die neue, öde, überkorrekte Streber-Kollegin „jetzt endlich mal mit dir einen Kaffee trinken will“ und dir das zum zwanzigsten Mal mit diesem engagiertem Zahnpasta-Reklame-Lächeln vorschlägt. Leider, leider aber kannst du nicht, weil die Woche voller Dienstreisen ist und du amSonnabend natürlich nicht in Hamburg, sondern bei deinem Kerl sein willst. „Tut mir leid, aber das wirst du verstehen“, flötest du mit dem echtesten Lächeln, zu dem du falsche Schlange imstande bist. Geradezu huldvoll und gänzlich unbeleidigt zieht sich die Langweilerin zurück, nicht ohne die Worte: „Ich bewundere ja, wie ihr das macht, mit dem ganzen Hin und Her.“
Anders als die Freunde klärt man eine Streberin tunlichst nicht darüber auf, dass das Pendeln durchaus Sonnenseiten hat. Zum Beispiel diese, sie so leicht abschütteln zu können. Ähnlich zu verfahren ist mit Großtanten dritten Grades und Freunden, die man abgelegt hat, sie einen aber noch nicht. Ein aufrichtig vorgetäuschtes Sorry-Sorry, und schon ist man aus der Nummer raus, ohne jemandem wirklich weh zu tun.
Schwieriger gestaltet sich das Leben mit den Guten und Lustigen, mit den lieben Verwandten, den alten und werdenden Freunden. Oft, wenn sie einladen, lässt schon der Job keine Zeit dazu oder ist der Weg zu ihnen zu weit, oder das Treffen mit Paul allein schon so verdammt lange her.
Nach einer Weile weiß man manchmal nicht mehr, ob die Freunde darum nicht mehr anrufen, weil man ihnen zu oft abgesagt hat oder weil man selbst dran wäre, sich zu melden. Aber da gibt es ja noch das verrückte Bedürfnis, einfach mal
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