"Kommst du Freitag"
nichts zu wollen, faul zu sein, Bücher lesend herumzulungern, ohne Nutzwert für die Gesellschaft und ihr Bruttosozialprodukt. Wenn sich alle Lustbarkeiten und aller Müßiggang auf die Wochenenden verteilen müssen und die ohnehin dezimiert sind, wird es: eng.
Allein das Management, Liebe, Familie, Freunde, zwei Berufe und – in unserem Fall – drei Haushalte und einen Hund zu pflegen, qualifiziert Fernliebende für die Vorstandsetagen dieser Republik. Man lernt, schnell und rabiat das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Und man leistet sichharte Schnitte, weil es anders oft nicht geht. Man stellt diese Ungerechtigkeiten aber, zunehmend geschickt, als Notwendigkeiten dar. Man handelt also wie ein börsennotiertes Unternehmen.
Bekannte, die man nicht vermisst, sind unwichtig. Weg damit.
Freunde, die man vermisst, muss man treffen und dafür zur Not ein Wochenende mit dem eigenen Lover in den Wind schießen, sonst hat man bald keine Freunde mehr.
Konferenzen sind nur wichtig, wenn Anwesenheitspflicht besteht oder wirklich etwas zu bereden ist; ansonsten arbeitet man lieber an seinen Projekten weiter (die Weisheit habe ich zu oft ignoriert).
Das Auto umzumelden ist unwichtig, wenn man nicht länger in einer Stadt bleiben möchte.
Einen erträglichen Frauenarzt zu finden, ist wichtig (kann man ersetzen durch: Hautarzt/Osteopathen/Orthopäden/ Zahnarzt et cetera).
Friseure in jeder Stadt zu haben, ist unwichtig, aber vorteilhaft.
Der eigenen Mutter nach Spanien in den Urlaub hinterherzufahren und dafür kostbare Urlaubstage zu opfern, ist wichtig, wenn man die Mutter liebt, sie sich den Fuß verletzt hat und in Andalusien allein aufgeschmissen wäre.
Es ist nicht wichtig, pünktlich loszugehen Richtung Bahnhof, es ist nur wichtig, pünktlich dort anzukommen. Man muss nur bereit sein zu rennen.
Check-in-Zeiten an Flughäfen sind eine Empfehlung, auch nach ihrem Ablauf kann man in 99 Prozent aller Fälle einsteigen. Diese Regel gilt nicht für Urlaubs-Chartermaschinen.
Private Problemchen der Kollegen und entfernten Bekannten sind nicht deine Probleme. Drum höre ihnen zu, aber engagiere dich nicht über die Maßen. Du brauchst dieKraft für die wirklichen wichtigen Menschen in deinem Leben. Und die Kraft ist begrenzt.
Vor allem ist es wichtig, enorm wichtig sogar, einen Rückzugsort zu haben. Alles, was über ein halbes Jahr räumlicher Trennung eines Paares hinausgeht, sollte emotional mit einer feinen, passenden Wohnung abgepuffert sein, mindestens aber mit einem eigenen, angenehmen, selbst eingerichteten WG-Zimmer im Stadtteil deiner Wahl. Das kostet Geld, aber dazu ist es da. Übergangslösungen sind keine, sie dauern immer zu lange und machen traurig. In Provisorien verliert man sich und wird zum Phantombild seiner selbst. Ich hatte den Fehler mit 24 gemacht, Milla machte ihn mit knapp 34.
Als sie nach München ging, ließ sie Carsten und ihr gemeinsames Loft in Kreuzberg zurück. Sie hatten dort eine unanständig große Südwestterrasse mit Rosen, Oliven, Ginkgo-Bäumchen und eigenen Kräutern darauf, das Schlafzimmer wies durch eine riesige, von außen uneinsehbare Fensterfront in die Wolkenformationen des Nordhimmels über Berlin, und alles war in einem skandinavischen, kitschfreien Stil eingerichtet. Selbst Helene hielt es hier ohne Schnappatmung aus, gut sogar.
In München dagegen hatte sich Milla in eine Art Arbeitnehmerkloster einquartiert. Nahe dem Olympiagelände hatte sie ein Apartmenthaus für die Arbeitsnomaden der gehobenen Stände gefunden. Für Menschen wie sie. Sie mietete darin „eine Einheit“, bestehend aus einem klinisch reinen, sparsam apfelgrün-weiß möblierten Räumlein mit Whirlpool im Bad und Pantryküche im Flur. Sie tröstete sich damit, dass es eine gute Laufstrecke in der Nähe gab. Aber in Wahrheit wohnte sie hier wie der Agent kurz vor der Flucht. Auf Abruf.
Der Abruf dauerte bloß leider fast drei Jahre lang. So lange hoffte Milla. Erst, dass Carsten häufiger zu Besuch käme, dann, dass er nachzöge, dann, dass sie nach Berlin zurückkehrenkönne. Schließlich wurden es zu viele Wenns und Danns, und sie hoffte nichts mehr. Sie suchte sich etwas schlecht Erhaltenes, aber Hübsches in Schwabing, zweifellos zu teuer, aber alles Geld einer angestellten Filmproduzentin wert.
Das war endlich ihr eigenes Reich. Das Erste, was sie tat, war eine Wand bunt anzustreichen, natürlich nicht in Apfelgrün, sondern in Magenta. Wir betranken uns davor an ihrem
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