"Kommst du Freitag"
Geburtstag, auf ihrem alten Kelim liegend. Wir grölten Hits der Achtzigerjahre, die wir, als sie neu waren, blöd gefunden hatten und jetzt nicht mehr blöd fanden. Daran merkten wir, dass wir sentimental wurden. Zwei Frauen, 31 und 37, in zwei Städten mit zwei Männern in zwei anderen Städten und keiner Aussicht auf Änderung dieses Zustands. Milla sagte, manchmal fühle sich das an, als habe man eine unheilbare Krankheit. Ich schwieg, mir ging es nicht so. Sie haderte schon, ich noch nicht.
Ich vermisste sie aber. Milla war weg, Silke war weg, Christiane war weg. Und die Freunde von Silke und Christiane waren woanders weg. Alles fuhr, flog, fluchte. Jeder schien plötzlich ein Leben auf Achse zu führen.
Manchmal möchte man aber einfach nur quatschen, ungeschminkt und ohne den Zwang zu Nettigkeiten und Etikette. Normalerweise kann das eine Frau mit dem Mann, der sich als der einzige Richtige herausgestellt hat. Nur war der ja nicht da, wo ich war, und das Telefon ist nicht immer ein Ersatz.
Am zweitbesten kann man mit Freunden trostlos sein. An solchen verflixten Abenden als fleißiges Bienchen in der selbstgewählten Fremde und fern der Schulter zum Anlehnen, scrollt man dann die Nummern seines Handys durch und stellt fest, dass: Nadja gerade ein Baby bekommen hat, Yvette jetzt in Hamburg wohnt, Lars frisch verliebt ist, Markim Tibet-Urlaub Tiere streichelt, Milla gestern morgen wieder nach München geflogen ist und Helene auf Mallorca einen Auftrag hat (und einen Lover). Die dicke Wenke willst du nicht sehen, sie erzählt bloß wieder stundenlang von ihrer ersten Affäre nach dreieinhalb Jahren, wie viele Orgasmen sie bekommt und warum dieser Heilsbringer sie aber nicht zur Freundin nehmen will (weil sie dick ist). Merle meldet sich sowieso nur, wenn sie weinen muss.
Jetzt aber willst du mal weinen.
Es ist erstaunlich, wie jäh man sich einsam und verlassen fühlen kann, obwohl die große Liebe existiert und man denkt, zwischen den Treffen gut alleine zurechtzukommen. Was derlei Verlorenheitsgefühle angeht, gibt es zwei Techniken, ihnen zu begegnen. Entweder zieht man rasch zusammen und macht, zum Beispiel, Kinder, eine Weltreise oder baut ein Haus. Oder man hält sie aus und kommt wie ich nach einer Weile ins Training. Man gewöhnt sich an die Einsamkeitsattacken, und sie kommen seltener. Allerdings wird man darüber ein bisschen zäh und junggesellig.
In diesem Stadium ist man perfekt für den Arbeitsmarkt, ein flexibler Mensch, Ende zwanzig, Anfang dreißig. Man hat Kraft, ist berufserfahren, gestärkt durch eine Bindung, die der Arbeitgeber aber null spürt, außer im Ergebnis deiner Arbeit und deines Selbstvertrauens. Dessen Herkunft wird ihn aber nicht interessieren. Flexibel heißt biegsam sein, und Chefs lieben das natürlich ungemein, besonders jene ganz gewieften, die immer am selben Ort wohnen bleiben. In solchen biegsamen Leben ihrer Untergebenen sind Kinder, Muße, Hobbys, Häuser oder so etwas wie regelmäßiger Sport und klare Ansagen an unfähige Abteilungsleiter nicht vorgesehen. Die flexible Untergebene führt in der Regel das Gegenteil des Lebens vom Vorgesetzten. Und eine ganze Weile ist das durchaus wunderbar, für die Untergebene.
Das Erstaunen aber (und der mehr oder weniger gut kaschierte Unwillen), wenn die biegsame Angestellte sich als gefestigter Mensch bemerkbar macht, ist darum beim Chef stets groß. Als ich in meinem Magazin in Hamburg, im Jahr neun meiner Fernbeziehung, um Versetzung nach Berlin bat, antwortete mein Chefredakteur sehr freundlich, erstens, das gehe leider nicht, kein Platz da. Und er fragte, zweitens: „Kann Ihr Freund da drüben nicht irgendwie nach Hamburg kommen, ist doch hier auch ganz schön.“
Er sagte das für seine Verhältnisse geradezu väterlich, und kurz hätte ich denken können: Hey, ein Chef, der fortschrittlich denkt und nicht davon ausgeht, dass die Frauen den Männern hinterherziehen, sondern die Männer auch mal den Frauen! Aber so war es natürlich nicht. Was er in Wahrheit meinte, war das Gegenteil; übersetzt hießen seine Worte: Sie sind doch noch recht jung (ich war 32), machen Sie sich mal locker und nicht von irgend so einem Freund im Osten abhängig.
Der Chef konnte natürlich nicht wissen, dass „Ihr Freund da“ schon elf Jahre lang „irgendwie“ zu mir gehörte. Weil es ihn null interessierte.
An dieser Stelle unserer beider Phantom-Leben verspürte ich das erste Mal den dringenden Wunsch, von Paul geheiratet zu
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