"Kommst du Freitag"
womöglich wieder die Liebe, und mit der Liebe kämen wieder die gleichen Probleme. Er sagte, so einfach sei das nicht. Ich zuckte die Schultern und stellte auf Durchzug.
Der Fotograf und ich hatten uns zwei Abende, drei Mittagspausen und einige Wartezeiten auf Gesprächspartner um die Ohren zu schlagen, drum sah ich mir in seinem Mac sogar Bilder von seiner Freundin an (braunes Haar, wohldosierte Sommersprossen, hellgrüne Augen, lange Beine, hoher vollerMund, offenbar nennenswerte Brüste), ich sagte über Fotos seiner hollywood-hübschen Kinder artig „süß“, obwohl sie mir völlig egal waren, und ging dann wieder meiner Arbeit nach. Er hörte zu, wie ich die Leute befragte. Irgendwie brachte ihn das zum Lachen und zum Staunen. Er lobte mich. Er sah mich länger an. Und länger. Zu lang.
Klingelnd schlug der Groschen auf. In Zeitlupe.
Ich überspielte fortan die Situation und tat so, als merkte ich nichts. Ich war verunsichert. Es war Sommer, und ich überlegte, neben ihm im Mietwagen sitzend, ob mein schmaler Rock zu weit hochgerutscht sein könnte, meine Pantoletten zu frauchenhaft aussahen oder mein Lack auf den Fußnägeln zu grell war oder mein Shirt zu knapp. Ob ich irgendetwas Williges, Billiges ausstrahlte. Ich meine, meine Beine waren nicht lang, meine Augen blau, mein Haar war blondiert und die Füllung meiner Bluse nicht nennenswert. Ich war einfach mal das Gegenteil von der Mutter seiner Kinder und mit 32 auch kein Maikätzchen mehr. Was wollte der? Der wollte doch was? Oder, noch peinlicher, bildete ich es mir am Ende nur ein?
Es lief ein Programm ab, von dem ich glaubte, es im Alter von siebzehn Jahren gelöscht zu haben.
Unsere Wege trennten sich am dritten Tag abends artig und professionell am Flughafen in Hamburg. Ich wich seinem Blick zum Abschied mit viel Geplapper aus und schlug unter unglaubwürdigen Vorwänden das Angebot aus, mich von ihm in seinem Auto heimfahren zu lassen.
Ich dachte danach kaum an ihn. Die Schwelle, hinter der er hätte meine Fantasie anregen können, war eindeutig nicht genommen. Ich malte mir nichts aus und wollte nichts. Ich freute mich nur ein paar Tage lang daran, dass ich einem hübschen großen blonden Jungen im Mannesalter womöglich gefallen haben könnte. Das schadet ja nie.
Wir sahen uns noch einmal wieder, ein paar Monate später, an einem kalten Herbsttag, auf einer Vernissage. Er war ohne eine Frau da und freute sich dezent, aber unverhohlen, mich zu sehen. Ich erschrak, ich hatte nicht mit ihm gerechnet. Ich hüpfte ihm den ganzen Abend über aus dem Weg wie ein scheues Reh nachts aus dem Scheinwerferlicht eines Autos. Es war etwas albern. Als ich mich vor der Zeit vom Gastgeber verabschiedete, war er urplötzlich zur Stelle. Er umarmte mich und küsste mich dabei sachte auf die Wange. Das war übertrieben, das letzte Mal hatten wir uns nicht umhalst.
Man kann darum sagen, das war sein Abschied von der Möglichkeit, mich vom rechten Wege abzubringen. Rotkäppchen hatte dem bösen Wolf eins auf die Nase gegeben. Nur, merke, der Wolf sitzt im eigenen Kopf, immer.
Männer und Frauen, die in einer Fernbeziehung leben, neigen deutlich weniger zum Fremdgehen als Paare, die zusammenwohnen. Sagen Studien und Umfragen. Sagt auch mein Leben. Aber das heißt nichts. Statistik hilft wenig, sobald es individuell wird und konkret. Für Paare, die dabei sind, in zwei Städten getrennt voneinander Karriere zu machen und am meisten Angst davor haben, dass sie einander betrügen könnten, bedeutet das keine Entwarnung. Wer vorher schon Schiss hat, gehörnt zu werden, hat auch vorher schon gute Gründe dafür.
Hinter der angeblich weit verbreiteten echten Treue Fernliebender vermuten Sozialforscher sowieso unromantische Gründe. Menschen wie Paul und ich, analysierten sie, investierten viel Zeit, Geld und Gedanken in den anderen und sparten sich sozusagen für ihn auf. Die Treue, das Zueinanderstehen, der Sex mit nur diesem einen Partner seien eine Art Belohnung für das Investment.
Eine Fernbeziehung, darf man frei übertragen, ist also sosicher wie ein Bausparvertrag, garantierter Zins, garantierter Kredit. Keine spekulativen Optionen, kein Thrill.
Soweit die Theorie. Aber die Praxis?
Meine Vorstellungskraft von Toleranz gesprengt hat die Geschichte von Lukas, und seine auch. Er ist von seiner langjährigen Gefährtin derart betrogen worden, wie man das so schlecht nur aus simpel strukturierten Vorabendserien kennt: jahrelang, mit wechselnden Männern, und
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