"Kommst du Freitag"
Wohnung. Um irgendeine Zeit bestellten wir Pizza und tranken zu warmes Bier. Ich fühlte mich wie taub und Paul auch. Er redete kein Wort. Ich sprach ganz wenig, und meine Ma sehr viel, um die blöde Situation zu überspielen. Wir brauchten diesmal Tage, um uns voneinander zu erholen.
Man denkt, man kennt sich gut. Man meint, über den anderen mehr zu wissen, als jeder Mensch sonst auf der Welt. Man traut niemandem so sehr wie dem Geliebten. Und dann das. Vielleicht aber: genau darum genau das.
Was an jenem Abend aufeinander traf (und an manch anderen schwarzen Tagen wieder, aber eher ohne Schläge), waren zwei verschiedene Erwartungen an den Ablauf eines Tages, waren zwei gleich große, aber räumlich unabhängig voneinander erarbeitete Erschöpfungszustände (seiner und meiner) und waren zweierlei unterschiedliche Wahrnehmungen ein- und desselben Vorfalls. Das alles kombiniert mit unseren völlig konträren Umgangsformen mit Missgeschicken führte zur: Explosion.
Ich meine, es ging nicht um Hochwasser, eine Feuersbrunst, Krieg oder eine schwere Unfallverletzung – es war bloß der Diesel alle, und die nächste Tankstelle lag in Spuckweite. Mich traf seine abfällige Reaktion darum wie der Blitz aus blauem Himmel. Und meine unbändige Wut sprang ihn wiederum an wie ein Ungeheuer im Streichelzoo.
In „Schloss Gripsholm“ schreibt Kurt Tucholsky über eine leise Verstimmung mit seiner Geliebten: „In diesem Augenblick war jeder ganz allein, sie saß auf ihrem Frauenstern, und ich auf einem Männerplaneten. Nicht feindselig ... aber weit, weit voneinander fort.“ Eine wunderbare Stelle. Tucholsky erkannte schon vor neunzig Jahren die Unterschiedlichkeit der Gemüter von Mann und Frau an und ließ sie zu, ohne aber dabei den Frauen den dussligeren Part zuzudenken, im Gegenteil. Was ich nicht bedacht hatte, war, dass die verschiedenen Planeten im Zoff zu Kampfsternen mutieren können.
Man kann es im Nachhinein nicht beweisen: Aber ich mutmaße, die Art von Feindseligkeit am Tatort Alboinstraße hätte sich so nicht entladen können, wären wir die Tage undWochen vorher zusammen in einem Ort gewesen, hätten um die Mühen und Nervereien des anderen besser gewusst.
Manchem Paar fällt es auf Dauer schon schwer genug, in einer gemeinsamen Wohnung nicht aneinander vorbeizureden und vorbeizuleben. Auf Distanz passiert es zwangsläufig, man muss damit rechnen und umgehen lernen, möglichst bevor es zur Prügelei kommt oder zum langen Schweigen, wie bei Carsten und Milla.
Über die ernsten, die großen Sachen haben Paul und ich uns nie gestritten, nicht über unseren Lebensentwurf, nicht über die Karrieren, nicht über ein Kind, nie übers Geld. Das kann man Glück nennen. Aber das war es nicht, nicht allein. Das war kein Geschenk der Natur, das war Arbeit. Genauso hat es Paul gleich am Anfang gesagt: „Beziehung ist Arbeit.“ Man kann sich meine Begeisterung vorstellen. Ich war total verknallt, die Welt war rosa, der Mann schön und geheimnisvoll und auf anziehende Weise anstrengend. Was sollte daran Arbeit sein? Warum denn: ARBEIT?
Aber er behielt natürlich Recht. Vielleicht müsste man das nicht unbedingt Arbeit nennen, sondern Ehrlichkeit, Vertrauen, Aufrichtigkeit, Nähe, Zulassen, Weglassen, Zuhören, Austoben, Ausheulen. So gesehen haben wir gute Arbeit geleistet. Im Jahr Eins unserer Bekanntschaft haben wir zum Beispiel klargezogen, dass ich für Kinder nie länger zu Hause bleiben würde, sondern höchstens ein Jahr.
Die Debatte war zu jenem Zeitpunkt einigermaßen abstrus: Ich war erst 21, Kinder waren für mich jenseits aller Wünsche und Vorstellungen, genau wie eine feste, auf Dauer angelegte Beziehung, die wir damals unwissentlich begonnen hatten. Aber es ging ums Prinzip. Paul, der mit studierten Hausfrauen groß geworden war, die allesamt ihren Männern „den Rücken frei“ hielten, wie es immer so euphemistisch heißt, stritt sich genau ein einziges Mal mit mir darum,nämlich an jenem Abend, als er 25 war und ich 21. Dann nie mehr. Es kam ihm, je besser er mich kannte, einfach nicht mehr in den Sinn, seine männliche Karriere über meine weibliche zu stellen, weil er mich respektierte. Er fand seine zu Hause erlernte Ansicht anmaßend und ersetzte sie durch eine eigene.
Ebenfalls im Jahr Eins haben wir klargemacht, dass nichts anbrennen darf. Wem etwas nicht passt, war Pauls Diktum, der muss es sagen und zwar schnell. Sonst könne es zu spät sein. „Du musst in einer Beziehung eine
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