"Kommst du Freitag"
natürlich etwas zwischen Besetzungscouch und klösterlicher Disziplin, zwischen eindeutiger Zweideutigkeit und dem Versuch, den besseren Kerl zu markieren. Das nennt man Charme, aber auch der will gelernt sein, bevor man ihn gekonnt einsetzt. Mit Ende zwanzig kam ich irgendwann auf den Trichter. Geschenkt. Vorgesetzte ab fünfzig aufwärts stellen nicht wirklich die verführerischen Gefahren für eine Frau zwischen 25 und 35 dar, sofern sie nicht auf Sex mit Älteren steht oder eine Karriere übers Bett anstrebt oder eine Versorgungsehe.
Die Versuchung lauerte woanders, sie kam selten und unverhofft. Waren 98 Prozent meines Lebens mit Paul sicher vor jeglichen unartigen Gedanken an Fremde in der Fremde, blieben da noch diese zwei Prozent übrig. Zwei Prozent Zeit ohne Scheuklappen in zehn Jahren sind wirklich wenig, aber rein rechnerisch, minus Wochenenden und Urlaubstagen, auch 43,4 Tage. Oder 43,4 Gelegenheiten. Oder 43,4 Träume von irgendjemandem oder irgendetwas mit Y-Chromosom.
An diesen Tagen oder Nächten, in diesen Minuten oder Stunden neben der Spur beunruhigt dich etwas, baggert einer, beschäftigt dich jemand oder verbringt im Beruf viel Zeit mit dir. Das ist Zeit, in der etwas flirrt, oszilliert, in denen die Unerschütterlichkeit deiner Treue einen Wackelkontakt hat. Manchmal dauert er Minuten, manchmal flackert etwas über Wochen hinweg, plötzlich und unvorhergesehen. Es ist dann,als versetze dir eine innere Hormonnadel eine kleine, gemeine Akupunktur. Und schon steht diese vage oder konkrete Möglichkeit im Raum, irgendetwas Unerhörtes mit irgendjemandem anzustellen, der leider nicht den Namen deines Freundes trägt.
Gelinde gesagt, die Zeit hätte gereicht, um vom rechten Weg abzukommen. Wobei sich die Frage stellt, ab wann man das tut, vom Weg der verabredeten Monogamie abzukommen? Oder, vielmehr noch, ab wann der andere denken würde, du tust es? Für Paul wäre es eindeutig mein Sex mit einem anderen oder wenn ich mich neu verliebte.
Aber Eindeutiges ist einfach. Schwer ist der Rest.
Die meisten Männer waren vornehm und diskret. Sie zogen sich sofort zurück und stellten ihre zumeist zaghaften Bemühungen ein, wenn ihre Signale in mir keinen Empfänger fanden und klar wurde, dass ich vergeben war, wie nur was. Manchmal aber waren die Signalgeber hartnäckig und erzeugten so eine Art Grundrauschen in mir. Eine etwas andere Ausrichtung meiner Antennen hätte dann vermutlich genügt und ...
Da ich aber nicht auf der Suche war und somit nicht auf Empfang, geschweige denn auf Sendung, habe ich mir Männer so sachlich angeguckt wie Frauen auch. Ich habe schon bemerkt, wenn sie schön, witzig und klug waren. So oft gibt es die Kombination ja nicht. Aber ich habe dauernd verpeilt, wenn mich jemand als ein Wesen anschaute, das für etwas infrage kam, ob gleich für einen One-Night-Stand oder auch nur den kleinen Flirt zwischendurch. Spürte ich es doch, fiel der Groschen bei mir derart langsam, das er erst aufschlug, als die Gefahr praktisch vorübergezogen war. Das meinte Milla mit den Scheuklappen.
Ein typischer Nicht-Flirt verlief so, wie mit dem Fotografen, mit dem ich mal ein paar Tage auf Recherche unterwegswar. Das kam öfter vor, Reporterin und Fotograf, aber dieser hier war sehr hübsch und lustig und hatte dabei etwas wunderbar Melancholisches im Blick.
Wir forschten im Schwarzwald einem Verbrechen hinterher. Er war in der Reportage-Arbeit nicht sonderlich bewandert, sondern fotografierte normalerweise Reklame und Mode. Zu Hause, in Hamburg, war er den ganzen Tag von fohlenbeinigen Models und Stylistinnen, schicken Fashion-Redakteurinnen und den kühlen, eleganten Art-Direktorinnen der Werbeagenturen umgeben. Darum kam ich gar nicht auf die Idee, dass ich laufender 1,60-Meter ihm eine nähere Betrachtung wert sein könnte. Vor allem war es mir wurscht, zunächst.
Er war 36. In dem Kriminalfall, den ich recherchierte, ging es um Liebe und Betrug, um Mord und verlassene Kinder. Darum fand ich nichts dabei, als der Fotograf anfing, mir von seiner Freundin zu erzählen, seinen drei Kindern mit ihr und dass er wieder mit dieser Freundin zusammen sei, nachdem er sie betrogen hatte und es eigentlich schon aus gewesen war. Und wie schön er es zwar finde, sie zu lieben, und wie schwer er es aber einsehe, warum er keine andere mehr berühren solle.
Meine küchenpsychologische Theorie dazu war, man könne nicht alles haben, denn alles zu haben, mache einen nicht reich. Mit einer Neuen käme
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