"Kommst du Freitag"
mit anderen Geschäftsleuten zu sehen, die Meerjungfrau reichte ihnen mit zu stolzem Blick alkoholfreie Getränke. Spät in der Nacht trank er mit ihr an der Hotelbar Wodka-Cocktails. Und das wissen wir, weil er es Milla alles haarklein gestanden hatte.
Sex hatten die Meerjungfrau und er erst am nächsten Abend, in ihrer Studentenbude im Wedding, ohne Wodka. Alkohol schied darum als Entschuldigung aus, Verzweiflung aber nicht.
Eigentlich war Carsten zum Fremdgehen nicht gemacht. Er wäre lieber treu geblieben. Indem er die Litauerin bestiegen hatte, wurde er vor allem sich selbst untreu. Sein Ausbruchsversuch führte darum geradewegs zu einem Einbruch seiner Verfassung; er konnte Milla eine Weile lang nicht ins Gesicht sehen. Er schämte sich tatsächlich wie ein Kind. Milla probierte ein paar Wochen nach der Sache den Kameramann aus, eher im Trotz. Er hatte sie schon länger angebaggert. Sie stellte bei der Gelegenheit fest, dass der Sex mit Dummen schlechter ist als sein Ruf.
Mit Paul habe ich über meine verwirrenden, verwegenen Momente mit anderen Typen nicht geredet. Ich hätte nicht genau gewusst, was es wert gewesen wäre, das zu erzählen: dass „nichts“ passiert war? Was ist nichts?
Wir haben aber durchaus darüber gesprochen, dass das Blöde an unserer Liebe ist, dass wir um ihretwillen auf den wilden, anarchischen, herzrasenden Gefühlssturm verzichten, den nur eine frische Liebe auszulösen vermag. Wir taten auch nie so, als gäbe es nicht andere schöne Menschen links und rechts des Weges. Das wäre sowieso schwer gewesen, denn Paul starrt nicht nur krude Gestalten sehr auffällig an, sondern auch interessante Frauen.
Wir haben da eine Art Ritual. Ich gucke ihm eine Weile amüsiert zu, wie er eine andere ansieht und nicht merkt, dass es jeder merkt. Dann sage ich, bevor er sozusagen sabbert, immer „du starrst“. Paul zuckt überrascht, immer, klappt das Kinn wieder nach oben, immer, er grinst und sagt, mit schlecht gespielter Empörung: „Gar nicht!“ Und wir lachen.
Ich bin mir sicher, dass er nie eine andere hatte. Wenn ich das Männern (um die vierzig) erzähle, sagen manche mit dem verräterischen Blick der eigenen, anders lautenden Erfahrung: „Du glaubst, was du glauben möchtest.“ Das ist interessant, weil ich sonst nicht den Eindruck erwecke, als sähe ich die Welt in Rosarot. Ich bin mir einfach nur sicher. Was würde es mir nützen zu lügen? Andere belügen, okay, aber mich selbst?
Man besitzt den anderen nicht. Man sagt „mein“ Freund oder „meine Frau“. Man gehört zueinander, bestenfalls. Aber man gehört nicht einander . Man kann sich vieles erzählen. Aber muss man alles von sich preisgeben? Wo die Schmerzgrenze zu Misstrauen und Verrat liegt, definiert sowieso jeder für sich. Der Toleranzbereich schwankt von Paar zu Paar. Eine Freundin darf und will mit anderen Männern ins Bett, ihr Mann auch mit anderen Frauen, einzige Regel: Sie verraten es einander nicht.
Eine allzu geringe Toleranz kann für eine Liebe auf Distanz zur großen Belastung werden: Eine meiner Kolleginnen rechnet mit ihrem Mann jedes lustige Wort ab, das er mit einer süßen Kellnerin gewechselt hat. Sie wirft ihm jeden längeren Blick vor, den er einer anderen Partygästin schenkt und registriert, mit hartem Gesicht, genau den Hüftschwung, den er beim Tanzen im Club mit einer Fremden riskiert. Zurzeit ist er von seiner Beratungsfirma drei Tage jede Woche in Hamburg eingesetzt, sie telefonieren zwei- bis dreimal täglichzwischen Hauptstadt und Hanse, wobei ich mich frage, womit sie diese ganzen Telefonate füllen, mit Fragen wie: „Und was hattest du so zu Mittag?“ Vielleicht braucht sie das, vielleicht will er das, so besessen und bewacht zu werden. Aber ich kenne sonst keinen, der das mag. Abgesehen von Helene, aber die findet sich selbst nicht ganz normal und vernichtet mit ihrer Eifersucht eine Liebesgeschichte nach der anderen.
Du glaubst, was du glauben willst? So leicht ist das nicht.
Entlassen! Champagner!
Ich weiß nicht, hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich mit Paul den besten für mich möglichen Mann der Welt gefunden habe? Dass Frau es besser gar nicht treffen kann, jedenfalls eine Frau, die so gestrickt ist wie ich? Ist womöglich kitschig und zu privat die Bemerkung, sorry, war nicht meine Absicht, falls sich jemand fremdschämt. Sollte ich mich doch eines Tages scheiden lassen, dürfte man mir den Satz ruhig unter die Nase reiben, er würde dadurch nicht falsch. Der
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