"Kommst du Freitag"
„und zwar meine ich: wir. Paul und ich. Du weißt schon, das mit dem Mund aufmachen, Stimmbänder benutzen und Worte formulieren.“ Das war gemein, aber Milla war nicht aus Pappe. Sie lachte.
Ja, wie machten wir das?
Vom schwarzen Freitag am Ostbahnhof im April bis zum Gespräch mit meinem Chef Ende Juli über einen Wechsel zurück nach Berlin vergingen Wochen der Entscheidung, von denen keiner etwas mitbekam, außer Paul und unseren engen Freunden.
Wir verbrachten den Urlaub im Périgord und in der Provence, es war der erste mit Paul über drei zusammenhängende Wochen in meinem ganzen Berufsleben. Das hätte mich wunderbar aufs Neue korrumpieren können: Sonne imSüden bei voller Gehaltszahlung, während es in Deutschland in Strömen goss. Und wenn man wiederkäme, hätte man noch mal drei Wochen Anspruch auf bezahlten Urlaub im selben Jahr. Das war ich zwar schon seit vielen Jahren gewohnt, aber manchmal fallen einem Dinge erst dann auf, wenn man erwägt, sie aufzugeben. Und überhaupt: die nette Redaktion, die guten Arbeitsbedingungen, die große Marke des Magazins? Trotzdem, ich begann im Kopf einen Plan B zu schmieden. Er war noch nicht ausgereift, damals. Aber er reichte als Ausweg aus dem beunruhigenden Gedanken, in Hamburg womöglich in der Falle zu sitzen.
Ich musste, für den Fall, mein Chef sagte nein, wissen, wie ich damit umgehen würde, was sonst geschehen könnte – ob ein weiteres Dasein im Hamburg für eine Weile irgendwie erträglich wäre oder schnelles Handeln geboten. Es ging nicht darum, trotzig Drohpotenzial zu sammeln, nach dem Motto: Wenn Sie mich nicht ziehen lassen, wechsle ich eben zur Zeitung XYZ! Kleine energische blonde Frauen, habe ich gelernt, kommen im Trotz nicht gut an (große blonde schon eher, habe ich an Milla beobachten können). Nein, es ging um uns, um Paul und mich. Um einen Fluchtweg in unsere Zukunft.
Noch in Hamburg schwante mir, immerzu fest angestellt zu sein bei einer Renommier-Adresse ist zwar eine feine Sache, einerseits. Um aber nicht den ganzen Lebensentwurf von der Entscheidungsmacht Dritter abhängig zu machen, musste ich mich, andererseits, emotional wappnen mit konkreten Alternativen. Sonst wäre ich erpressbar geworden. Und das wäre weder für mich gut gewesen noch für den Geliebten, noch für den Arbeitgeber. Wäre es ganz dumm gekommen, hätte ich am Ende einen gut bezahlten Job in der falschen Stadt, aber keine Beziehung und keine Perspektive mehr. Im schlimmsten Fall wäre auch noch der Job weg.
Vor allem wollte ich nicht werden wie einige dieser sonderbaren Gestalten in Hamburg. Es gab in diesem Verlag, neben den netten, auftrumpfenden Immer-hungrig-Reportern und den ehrgeizigen Ich-weiß-was-besser-Redakteuren, den Typus Hauptsache-ich-bin-unter, und das gar nicht mal so selten. So ein Magazin ist da ganz anders als eine Zeitung, aber gar nicht anders als eine Versicherung oder ein Technologiekonzern oder eine Kaufhauskette: Es gibt Angestellte, die versorgen ihre Familien mit ihrem Gehalt, aber sie sehen keine Notwendigkeit mehr darin, im Gegenzug dazu ihre Firmen mit Gehalt zu versorgen. Sie sind ein One-way-System – es geht nur etwas raus.
Die besonders Kunstfertigen unter ihnen haben gleichzeitig die Gabe, den Eindruck zu erwecken, sie seien trotz ihrer Gehaltlosigkeit unverzichtbar. Manche Hauptsache-ich-bin-unters haben darum führende Stellungen inne und sie behalten sie Jahr um Jahr immer und immer weiter. Mitunter werden ihre Abteilungen aufgelöst und neu zugeschnitten und bekommen andere Namen. Aber die Untergeschlüpften bleiben. Was meine Branche angeht, hat man von solchen Kollegen nie einen inspirierenden Vorschlag gehört oder einen tollen Text gelesen. Oder, wenn sie doch mal eine mittelmäßige Story geschrieben hatten, sprachen die Hauptsache-ich-bin-unters so viel darüber und das am liebsten laut mit den Chefredakteuren, wie andere Redakteure nicht über ihre letzten zwanzig viel besseren Texte.
Hielt man dieses Beschäftigungsmodell nur eine Weile lang durch, so lernte ich, hatte man irgendwann ein horrendes Gehalt und galt als unkündbar – weil etwaige Abfindungen jegliches Budget gesprengt hätten. Allerdings waren und blieben solche Kollegen am Ende: Wichte. Es war nicht schön anzusehen.
Ich besprach mich mit Paul, mit Milla, mit Helene. So konfussie mit ihren Kerlen umging – im Job war Helene kompromisslos und souverän wie eine Sichtbetonwand. Helene hatte als junge Summa-cum-laude-Absolventin in einem
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