"Kommst du Freitag"
namhaften Hamburger Architektur-Büro angefangen und war aufgefallen. Zwei Entwürfe für Bürogebäude und einer für ein Museum, an denen sie maßgeblich beteiligt war, hatten bei internationalen Architekturwettbewerben vordere Plätze gewonnen. Aber man beförderte sie nicht. Sie sei doch erst 27 und solle sich noch ihre Sporen verdienen, befand damals der erratische ihrer beiden Chefs, ein sogenannter Stararchitekt. Darum ging Helene, aber sie ging nicht im Streit, sondern mit einer charmanten Party. Wohin sie denn nun eigentlich wechsle?, fragte der Chef, mit dem feinen Champagner in der Hand, den Helene bezahlt hatte. Sie sagte: „Ich habe noch keine Ahnung.“ Der Chef lächelte schelmisch wissend, als habe sie schlecht gelogen, und schenkte beiden nach.
Aber es war die Wahrheit. Helene zog damals auf gut Glück zu Freunden nach New York und gab lieber noch einmal die Praktikantin, sie heuerte danach in einem Büro in London an, wo sie anfangs nicht viel mehr war als eine Wasserträgerin (bis man ihr Talent erkannte), und sie hospitierte in Madrid. Der Stararchitekt wollte sie nachher dringend wiederhaben, in besserer Position. Aber Helene dachte nicht daran. Sie war 31, hatte eben den Wiener Schriftsteller mit Liebe zum englischen Landhaus abgelegt und gründete mit zwei Gleichgesinnten ein eigenes Büro in Berlin, nunmehr ausstaffiert mit exzellenten Kontakten in alle Welt. Es lief seit fünf Jahren prächtig, was eine wahre Kunst war bei dem übersättigten deutschen Markt an ausgehungerten Architekten.
Helene war aus New York zurück und den Londoner noch nicht ganz los, im Kopf und im Herzen. Wir saßen in ihrem Penthouse-Büro in Mitte, sie nahm Zettel und Bleistift herund skizzierte mir mit wenigen entschiedenen Strichen mein Gebäude der Zukunft. „Als Erstes fragst du deine Chefs, ob du nach Berlin kannst. Überleg dir, warum du dort gut für die bist, dein Privatleben interessiert die nämlich nicht. Du bewirbst dich, zweitens, gleichzeitig und diskret in Berliner Redaktionen, aber nur in denen, die du gut findest. Keine Kompromisse, du kennst doch die ganzen Leute. Da wartest du, was passiert. Außerdem überlegst du dir, drittens und ernsthaft, ob eine Selbstständigkeit diesmal für dich infrage kommt, trotz der beschissenen Marktlage.“
Das Wort beschissen hörte sich aus Helenes überaus eleganter Erscheinung besonders vernichtend an. Es war eine Warnung. Sie kannte meine Kaste; sie wusste um die Lage der Printmedien. Ich schaute auf das Papier. Ihre Zeichnung aus Pfeilen und Worten hatte blitzschnell und von mir unbemerkt die Silhouette unseres Bauernhauses angenommen. „Ich denke, du hasst Bauernhäuser“, sagte ich.
„Ja, aber du doch nicht“, sagte sie und grinste. „Das steht für dein Ziel, ein Zuhause zu haben, im Job und mit Paul.“
„Helene, holla! Vielleicht solltest du Selbstfindungsseminare geben?“
„Ja“, sagte sie, „vielleicht. Bei euch in der Scheune? Und im Hintergrund würden dabei Duftkerzen brennen, Typ Vanille. Bah, mir wird schon beim Gedanken kotzübel.“
„Aber, im Ernst. Paul hat mir ungefähr den gleichen Rat gegeben.“
„Das spricht dafür, dass wir beide brillant sind.“
Sie lachte spöttisch und mischte uns zwei Campari-Soda; auch Getränke durften bei ihr nie süßlich sein. Mit dem Bitter-Schwips im Gemüt zogen wir an den Potsdamer Platz zu einer Filmpremiere von Millas Firma. Später tanzten wir im Grünen Salon der Volksbühne in den Morgen, bis wir unsere Füße nicht mehr spürten.
So war der Weg nun vorgegeben. Ich würde meinen Chef fragen, ob ich nach Berlin wechseln könnte. Gleichzeitig schaute ich mich nach Alternativen um. Und ich beschloss, drittens, mit Paul alles in meinem Berufsleben auf den Prüfstand zu stellen, sollten beide Wege versperrt bleiben.
Aber das war nicht nötig. Zwei Verlage gaben mir Signale, mich anheuern zu wollen, wenn auch für kleineres Geld. Schließlich aber ließ mich die eigene Redaktion nach Berlin. Zum Jahreswechsel bezog ich ein 45-Quadratmeter-Apartment in Berlin-Friedrichshain, das neu saniert und fast zwei Drittel billiger war als das in Hamburg, aber dafür einen großen Westbalkon hatte. Ich war verlobt, und meine Mutter wohnte jetzt um die Ecke. Und das alles fühlte sich, verdammt noch mal, gut an. Wieder gut.
Die neuen Bürokollegen in Berlin konnte ich noch nicht einschätzen. Es wären vorrangig Männer in den besten und nicht mehr ganz besten Jahren, die sehr von ihrer Bedeutung
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