"Kommst du Freitag"
krumme Rücken hatten und kaum noch kriechen konnten. Jonas und Gesa reisten mehrmals aus Leipzig an, stapelten mit Paul und mir Tonnen von Kiefernklötzen, bis meine Gebärmutter muckte und um Gnade bat. Ein Dachdecker reparierte die Löcher und deckte die Remise neu. Alle betranken sich jeweils nachher, außer mir natürlich.
Endlich ging alles Schlag auf Schlag. Das Catering aus Berlin stand nach unendlichen Verhandlungen, die Musik, die Regenvariante. Wir zuckten nicht mal mehr, als absolut alles teurer zu werden versprach als zunächst verabredet: das Essen, die Bestuhlung, die russisch-polnische Zigeuner-Combo, die DJs. Wir riefen, halbwahnsinnig vor Stress: Nehmt nur, nehmt vom Lebendigen! Hauptsache, wir kriegen das Ding irgendwie über die Bühne!
Meine Taille war dabei, die Neunzig-Zentimeter-Marke zu sprengen. Die Designerin, die mir mein Kleid auf den Bauch schneiderte, seufzte. Sechs Tage vor Ultimo stiefelte ich nach Feierabend das letzte Mal schnaufend die fünf Etagen hinauf in ihr Dachgeschossatelier in Prenzlauer Berg, für den Final Cut. Conny gab noch einen Zentimeter zu und sagte: „Mehr dürfen deine Kinder jetzt einfach mal nicht wachsen.“ Mit Paul legte ich einen Kampf-Shopping-Sonnabend in Berlin ein. In zwei Stunden rafften wir für ihn Anzug, Smoking, Schuhe, diverse Hemden, Socken, Fliegen und Schlipse zusammen. Sein Outfit hatte ungefähr das Doppeltevon meinem gekostet, was uns amüsierte: Mit seinen zig Einkaufstüten großer Labels am Arm nahm sich mein Verlobter in der Friedrichstraße kurz aus wie eine männliche Paris Hilton und suchte darum schnell Deckung in seinem Auto. Nichts wie weg.
Mittlerweile riefen wir den Wetterbericht stündlich im Internet ab. Die vorher gesagte Regenwahrscheinlichkeit schwankte zwischen dreißig und siebzig Prozent, die zu erwartende Tageshöchsttemperatur zwischen 15 und 21 Grad, die Prognose bewegte sich also zwischen Sommer und Herbst. Zwei Tage vor der Hochzeit goss es jäh und mehrmals wie aus Eimern. Das Tor zur Scheune – der Eingang für unsere Festgesellschaft – stand damit unter Wasser. Paul drehte am Rad. Auf den letzten Pfiff orderte er von Leipzig aus in der brandenburgischen Provinz noch ein Zelt mehr als Überdachung und ein halbes Dutzend Heizstrahler gegen die Kälte. Bald würde unsere Idylle aussehen wie Andalusien vom Flugzeug aus: alles unter Planen. Nur dass wir kein Gemüse drunter anbauten.
Alles, aber auch alles war auf Kante genäht. Details, auf die andere Bräute in meinem Freundeskreis Wochen verwendet hatten, klärten sich für mich kurz vor der Angst und im Galopp. Ich fand drei Tage vor der Hochzeit in der Mittagspause die richtigen Schuhe, zwei Tage davor eine Friseuse bei mir um die Ecke, die mir in der Frühe vorm Standesamt die Haare zusammenstecken könnte, ohne dass ich nachher aussehen würde wie eine geworfene Sahnetorte aus Berlin-Marzahn, und ich entwarf einen Tag zuvor meinen Brautstrauß, direkt im Blumenladen: Rosen, aber bitte mit Disteln, passend zu der mir nachgesagten Widerspenstigkeit.
Einen Tag vor unserer „Ja“-Sagung war ich den Hof geflohen, auf dem Paul mit Schwester, Schwager, Neffe und Nichte fortwährend sägte, schraubte und hämmerte, um alles wasserdicht,sicher, windgeschützt zu kriegen. Ich saß in Berlin in der Badewanne und weichte meine verharzten, öl- und dreckverschmierten Füße und Hände ein. Pediküre? Maniküre im Nagelstudio? Das war was für Tussis aus Hochglanzmagazinen. Dafür hatte ich keine Zeit. Ich musste selbst ran, was aufgrund meiner Leibesfülle nicht mehr ganz leicht war. Doch der Wille versetzte Bäuche; ich wollte nicht aussehen, als käme ich gerade vom Kartoffelacker gekrochen. Paul klingelte am nächsten Morgen, um mich abzuholen und aufs Standesamt zu führen. Als ich die Tür öffnete, wusste ich, dass sich mein Kampf um Körper, Kosmetik und Kleid gelohnt hat. Mann war sprachlos und entzückt. Na, bitte, und das trotz anderer Umstände.
Das ist ein schöner altmodischer Begriff und für unsere Geschichte ein wunderbar doppeldeutiger. Aller Zoff, aller Streit war vergessen.
Als der Abend voranschritt, die Band gespielt, das Essen verspeist und die Reden gehalten waren, legte der DJ zum Tanz auf. Und mein Mann nahm mich doch tatsächlich bei der Hand und führte mich aufs Parkett, das in unserm Fall ein Betonboden war. Dieser Typ, der nie tanzen wollte und das letzte Mal mit 19 Jahren zum Pogo einen Tanzboden betreten hatte, konnte plötzlich:
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